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Arthur Stein (1871–1950) und Edmund Groag (1873−1945) 159
Leider sind die Tagebücher Pollaks für die Jahre 1940 bis 1942 gegenwärtig nicht ver-
fügbar190, sodass im Unklaren bleibt, wie es zur Konstituierung der Gesellschaft kam, die
sich dann seit dem März 1942 jeden Sonntag bei Groags versammelte. Ab 1943 konnten
die Tagebücher wieder herangezogen werden. Aus ihnen ist zu ersehen, dass sich die Woh-
nungssituation seit Anfang 1944 wieder verschlechterte. Gerüchte kreisten immer wieder,
dass auch die so genannten Mischehen von dramatischen Umsiedlungen betroffen sein
sollten. Am 16. Februar notierte Pollak : Frau Groag ruft an, sie hätten polizeil. Aufforde-
rung erhalten, binnen 8 Tagen auszuziehen. „Aus zwingenden Gründen ist eine Zusammen-
siedlung von Mischehen notwendig. Ich fordere Sie auf, mir binnen 8 Tagen gerechnet vom Tage
der Zustellung an eine Mischehe bekannt zu geben, die bereit ist, Sie als zweite Hauptmieter
aufzunehmen.“ Eintrag am 30. April : Dr. Groag war am Freitag bei der Gestapo vorgeladen
und mußte, um die angedrohte Abgabe in ein Konzentrationslager zu vermeiden, eine Erklä-
rung unterschreiben, daß er die Wohnung binnen 8 Tagen räumen werde. Eine Ersatzwohnung
zu suchen und aufzufinden sei seine Sache. Die Frau von einer bewundernswerten Ruhe. So
ging das weiter : Aufforderungen zum Auszug, Drohung mit dem Konzentrationslager,
Einreichung von Beschwerden durch die Groags. Im November werden zwei Zimmer der
Wohnung beschlagnahmt, so dass Groags am Jahresende nur noch 1 Zimmer bewohnen
(26. November). Doch das Ehepaar Groag überstand auch die letzten Monate des Krieges.
Nachdem Wien von der Roten Armee eingenommen worden war, schaut Pollak am 29.
April in der Feldmühlgasse vorbei : […] er sieht gut aus und denkt nur an seine Arbeit, sie
hingegen ist ganz fürchterlich eingegangen […].
Leider war es Groag nicht vergönnt, seine prosopografischen Studien, wie er es gewollt
hatte, wiederaufzunehmen. Am 12. August 1945 lag er offensichtlich schwer krank auf
dem Sofa, als Pollak ihn besuchte : Ich fand den Hofrat auf dem Sofa zugedeckt und mit
einem Umschlag um die Stirne liegend : es sei ein völliger Kräfteverfall eingetreten, außerdem
Fieber, Bronchialkatarrh, Blasenkatarrh. Ein zugezogener junger Arzt habe drei Mittel ver-
schrieben, die in der Apotheke nicht erhältlich seien. Morgen will die Frau zu Professor Klein
fahren, der aber sehr in Anspruch genommen sei : die Frau herzleidend, er richte sich wieder
auf den Tuchlauben ein, habe zweimal in der Woche das Jüdische Spital. Bis zur Jause habe der
Hofrat aber noch gearbeitet. Am nächsten Tag nachmittags bei sehr großer Hitze nach Ober-St.
Veit ; auf dem Wege viele Ackermelde, eine Aktentasche voll für uns und einen großen Buschen
für die Groags abgeschnitten. Als ich zu Groags kam, traf ich Frau Frömel, die gerade auch
hingekommen war und kostbare Nahrungsmittel, darunter zwei Eier und einen Krautkopf,
mitbrachte. Frau Groag nicht daheim ; sie war zu Prof. Klein gefahren. Der Hofrat lag sehr
rot im Gesicht da, hatte hohes Fieber, wußte anscheinend nichts von sich ; ich bekam den aller-
190 Sie befinden sich im Besitz von Christa Kupferblum, die auf Nachfrage mitgeteilt hat, dass keine Einträge
über Groag enthalten sind (auch nicht am 22.03.1942).
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien