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Arthur Stein (1871–1950) und Edmund Groag (1873−1945) 161
8. Nach der Befreiung
Am 9. Mai 1945 wurden die Insassen des Lagers Theresienstadt von der Roten Armee
befreit ; wegen einer Flecktyphusseuche wurde am 14. Mai eine strenge Quarantäne ver-
hängt, die mehrere Wochen dauerte203. Die Ehepaare Stein und Utitz befanden sich unter
den Überlebenden, doch mussten sie noch bis Anfang August ausharren, ehe sie nach Prag
zurückkehren konnte204. Man fragt sich, wie das Ehepaar Stein diese drei Jahre Zwangs-
aufenthalt überstehen konnte. Hat vielleicht die stoische Lebenseinstellung, wie sie das
Motto auf Steins Theresienstädter Porträt andeutet, mit dazu beigetragen ? In seine alte
Wohnung konnte das Ehepaar Stein nicht wieder einziehen und fand Unterkunft an der
Peripherie im Norden Prags. Die Steins konnten noch fünf gemeinsame Jahre in Prag ge-
nießen, in denen Arthur Stein seine wissenschaftliche Arbeit wieder aufnahm. Inwieweit
er dabei seine ehemalige Privatbibliothek zur Verfügung hatte, ist unbekannt. Sicher ist
allerdings, dass er seine beiden Handexemplare der PIR hatte retten können ; diese sind
nach seinem Tod von seiner Frau der Berliner Akademie übereignet worden und bilden
bis heute eine der wertvollsten Grundlagen bei der Fertigstellung des Handbuchs. Das
Leben in Prag war für die Rückkehrer aus Theresienstadt nicht einfach205, doch fanden
die Steins materielle Unterstützung aus Übersee : Ein Neffe Steins, Theodore H. Loewy,
sandte ihm aus New York monatlich 150 Dollar aus einem privaten Stein-Fonds, den
Alvin S. Johnson gegründet hatte206.
Am 15. November 1950 starb Stein an einem Schlaganfall. Ein halbes Jahr später, am
10. Mai 1951, beging seine Frau Selbstmord; sie sprang aus dem Fenster ihrer Wohnung.
Beide sind im Krematorium Vinohrady in Prag eingeäschert worden.
Stein, der 1947 zum Ehrenmitglied der Society for the Promotion of Roman Studies
gewählt wurde207, konnte noch bis zu seinem Tod an der PIR weiterarbeiten. Dass die
203 Siehe Adler, Theresienstadt (wie Anm. 151) 217f.
204 Nach Steins eigenen Worten in seinem Curriculum vitae (siehe oben Anm. 29) dauerte der Aufenthalt
in Theresienstadt bis zum 2. August ; die polizeiliche Anmeldung in Prag (im NA Prag) trägt das Datum
03.08.1945.
205 Zur Illustration kann ein Brief Körners dienen, den dieser am 05.021946 an Käte Hamburger schrieb (Kör-
ner, Schriften [wie Anm. 53] 191) : Als ich im Mai v.J. aus der Deportation heimkehrte, schlug das Glücksgefühl
der Befreiung schon nach wenigen Tagen in helle Verzweiflung um, denn es zeigte sich, daß die radikale Lösung der
Deutschenfrage hierzulande rücksichtslos auch die (sei’s noch so antinazistisch gesinnten und tätigen) Juden deut-
scher Kulturzugehörigkeit einbegreifen wolle. In dieser Verzweiflung, die tiefer war denn alle in den Jahren der Hit-
lerherrschaft erlittene und zum ersten Mal mich und die (nichtjüdische, tschechische) Gattin ernstlich an Selbstmord
denken ließ, […].
206 So ein Brief Steins an Johnson, der im Jüdischen Museum Prag aufbewahrt wird. Bei Johnson handelt es sich
um den bekannten Wirtschaftswissenschaftler und Förderer von Exilwissenschaftlern.
207 Vgl. Journal of Roman Studies 37 (1947) 225.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien