Page - 183 - in Österreichische Historiker - Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
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Max Dvořák (1874–1921) 183
zwischen Geist und Materie am Werk, den er mit fast denselben Worten in seinen „geis-
tesgeschichtlichen“ Spätschriften als Motor der Kunstgeschichte begreift. Nur projiziert
Dvořák im „Kriegsalmanach“ seinen emphatischen Spiritualismus nicht auf das christli-
che Mittelalter oder visionär-expressive Künstler wie El Greco oder Tintoretto, sondern
auf das kriegführende Österreich-Ungarn. Seit Beginn des Weltkriegs ging es, so Dvořák,
nicht nur um Politik und Wirtschaft, „sondern nicht minder um ein Ringen einer älte-
ren und einer neueren Geisteswelt : dem liberal-individualistischen Materialismus trat ein
sozial-ethischer Imperativ, dem naturwissenschaftlichen Positivismus ein geschichtsphilo-
sophischer Idealismus entgegen und wer tiefer blickte, konnte nicht zweifeln, welcher von
diesen beiden Welten der Sieg von Anfang an beschieden war“76.
Nach Kriegsende erhält Dvořák die Staatsbürgerschaft der neuen Republik Öster-
reich. Für Universitätsprofessoren galt die Regelung nicht, dass nur Deutsche Beamte
sein könnten. Als ihn 1919 tschechische Freunde zu einem Wechsel an die Prager Uni-
versität bewegen wollen, lehnt er es ab, die Wiener Lehrkanzel zu verlassen. Wohl als
Antwort auf kritische Stimmen betonte Matějček später, dass Dvořák sich seinem Volk
nicht entfremdet hätte und Tscheche, genauer : ein „tschechischer Kosmopolit“, geblieben
sei77. Eine ambivalente Haltung der Vereinnahmung zeigt umgekehrt Julius von Schlosser,
wenn er später in seiner Geschichte der Wiener Schule der Kunstgeschichte – von ihm
bezeichnenderweise als „Rückblick auf ein Säkulum deutscher Gelehrtenarbeit in Öster-
reich“ untertitelt – bemerkt, Dvořák sei zwar „tschechischer Erde entsprossen“, aber „dem
Wiener-Österreicher-Deutschtum fast restlos gewonnen“ worden78.
1919 engagiert sich Dvořák auch publizistisch stark in der Debatte um die Forderung
des italienischen Staats nach Kriegsreparationen durch Kunstwerke aus Wiener Samm-
lungen79. Nachdem er 1920 einen Ruf nach Köln ausgeschlagen hatte, bewilligt das Mi-
nisterium die Aufwertung seiner Lehrkanzel zu einem selbstständigen, dem nunmehr „II.
Kunsthistorischen Institut“80. Dvořáks letztes Lebensjahr ist geprägt durch große Wert-
schätzung – bei seinem berühmt gewordenen Vortrag „Greco und der Manierismus“ am
76 Dvořák, Eine illustrierte Kriegschronik (wie Anm. 72) 49–51.
77 Übersetzung des Nachrufs bei Rokyta, Dvořák (wie Anm. 10) 86f. Vgl. zu diesem Fragenkomplex v. a. Fili-
pová, Historiography (wie Anm. 17) 193f.
78 Schlosser, Wiener Schule der Kunstgeschichte (wie Anm. 1) 209.
79 Vgl. Max Dvořák, Ein offener Brief an die italienischen Fachgenossen, in : Die Entführung von Wiener
Kunstwerken nach Italien, hg. von Hans Tietze (Wien 1919) 3–9. Die Verteidigung des österreichischen
Standpunkts machte er 1919 sogar zum Thema einer Vorlesung über die von den Italienern beanspruchten
Kunstwerke. Vgl. Max Dvořák, Erklärung ausgewählter Kunstwerke, Vorlesung, SS 1919, IKWA. Vgl. den
kritischen Beitrag zu Dvořáks Engagement : Jonathan Blower, Max Dvořák and Austrian Denkmalpflege at
war, in : Journal of art historiography 1 (2009) : http ://www.gla.ac.uk/media/media_139127_en.pdf.
80 UAW, Phil. Fak., PA Max Dvořák (Staatsamt für Inneres und Unterricht. Unterrichtsamt. An Phil. Dekanat.
19.03.1920 [Z. 5352-Abt. 2]).
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien