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188 Hans Aurenhammer
der modernen Kunst vollkommen einheitlich wie in vorangehenden Zeiten sei. In ihr habe
sich der künstlerische Subjektivismus nach einer tausendjährigen Entwicklung endgültig
durchgesetzt104. Vor allem aber arbeitet sich Dvořák an einer Neuinterpretation des Ba-
rock ab. Er folgt Riegl, dessen Barock-Vorlesungen er 1907 herausgab105, indem er den
entscheidenden Umbruch von der Renaissance zum „optischen Subjektivismus“ des Ba-
rock (und damit wiederum zur Moderne) schon um 1520/30, mit Michelangelo und
Correggio, ansetzt, bezieht aber auch die venezianische Malerei des 16. Jahrhunderts mit
ein106. Auf diese „Umwertung“ des italienischen Cinquecento – es sollte nicht die letzte in
der Entwicklung seines Denkens sein – zielt auch das wichtigste wissenschaftliche Projekt
der Frühzeit, eine (unvollendet gebliebene) Monografie über Tintoretto, an der Dvořák
seit 1900 arbeitet107. Sie sollte den Venezianer als einen der Urväter der rein malerischen
Bestrebungen des 19. Jahrhunderts herausstellen, den Ausgangspunkt jener Entwicklung108,
die zu Velazquez und Rembrandt und zur Kunst unserer Tage geführt hat109.
Es ist bezeichnend für Dvořáks Deutungshorizont, dass er sich in seiner Kritik an
überlieferten klassizistischen Dogmen ausdrücklich auf das Urteil der modernen Künstler
beruft. Das wird schon im Aufsatz „Poslední renaissance“ (Die letzte Renaissance) von
1902 deutlich, der den neuen Blick etwa von John Ruskin, Edgar Degas oder Constantin
Meunier auf die Barockkunst betont110. Auch Dvořáks „modernes“ Tintoretto-Bild hat
seinen Ursprung in einer Neubewertung durch zeitgenössische Künstler. So präsentierte
bezeichnenderweise die Wiener Secession 1903 im Rahmen einer Ausstellung über die
„Entwicklung des Impressionismus in Malerei und Plastik“ (bis zu Vincent van Gogh, Paul
104 Dvořák, Die malerischen Probleme des 18. Jahrhunderts 1910 (wie Anm. 103) 531, 525.
105 Alois Riegl, Die Entstehung der Barockkunst in Rom, hg. v. Anton Burda, Max Dvořák (Wien 1907).
106 Max Dvořák, Grundriss einer Geschichte der malerischen Probleme in der Neuzeit, Vorlesung (WS
1904/05) ; ders., Geschichte der barocken Kunst in Italien 1905/06 (wie Anm. 99) ; ders., Geschichte der
italienischen Barockkunst, Vorlesung (WS 1909/10) ; Alle : IKWA.
107 Wickhoff, Gutachten zu Dvořák, 08.07.1905 (wie Anm. 13) : Gegenwärtig arbeitet er an einer groß ange-
legten Biographie Tintorettos, welche das Problem der Entstehung der impressionistischen Malerei behandeln wird,
und die auf eine Reihe von Bänden angelegt ist, welche auch die Cultur des damaligen Venedigs schildern werden ;
Bericht der Kommission, 03.07.1909 (wie Anm. 47) : Für eine grosse Biographie des Tintoretto hat er das archi-
valische und monumentale Material aus Deutschland, Italien und Frankreich bereits ausgeschöpft und verarbeitet,
die Bereisung von Spanien und England verzögerte sich insbesondere durch Arbeiten im Interesse der Erhaltung
der heimischen Kunstdenkmäler. Vgl. zum Tintoretto-Projekt allgemein Aurenhammer, Dvořák, Tintoretto
und die Moderne (wie Anm. 5) 12–21.
108 Max Dvořák, Tintoretto. Vortrag am 15. Januar 1914 im Österreichischen Museum für Kunst und Indus-
trie in Wien. IKWA.
109 Vgl. Dvořák, Geschichte der barocken Kunst 1905/06 (wie Anm. 106) 24.
110 Max Dvořák, Poslední renaissance [„Letzte Renaissance“], in : Český časopis historický 8 (1902) 30–51.
Die entsprechenden Passagen sind übernommen in : Dvořák, Geschichte der barocken Kunst 1905/06 (wie
Anm. 106) 16–21.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien