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Max Dvořák (1874–1921) 189
Gauguin und Paul Cézanne) ein Gemälde Tintorettos im ersten, den historischen Vorläu-
fern gewidmeten Raum111. Wie forciert Dvořáks Strategie der modernistischen Aktualisie-
rung (wenigstens in den Vorlesungen) mitunter ausfallen konnte, zeigt seine Analyse der
lagernden Quellnymphe in der Illustration von „Rebekka am Brunnen“ in der „Wiener
Genesis“. Belegte diese Figur für Wickhoff noch das Weiterleben klassischer Formen in
der Spätantike, so erinnert Dvořák das mit wenigen Farbstrichen auf den Purpurgrund
des Pergaments gesetzte Figürchen in ihrer Flächigkeit, der Negation jeglicher plastischer
Modellierung an keine Geringere als an Manets „Olympia“ !112
Der frühe Dvořák verteidigt an sich konsequent die Autonomie der Kunst, um die
Selbstständigkeit der Kunstgeschichte als wissenschaftliche Disziplin zu begründen –
nicht zuletzt gegenüber der Geschichtswissenschaft, mit der die Wiener Schule doch auch
institutionell eng verbunden war. Vermeintlich äußere Faktoren wie Material und Tech-
nik, aber auch Ikonografie und Funktion sind für ihn, entsprechend Riegls bekanntem
Ausspruch113, nur „Reibungskoeffizienten“ der immanenten Entwicklung der Kunst. So
leugnet er 1906 beispielsweise jeglichen kausalen Zusammenhang zwischen der neuen
christlichen Religion und dem formalen „Stilwandel“ von der antiken zur mittelalterli-
chen Kunst. Diese könne nur als eine innere Selbstverwandlung der klassischen Tradition
beschrieben werden114. Schon im frühen Johann von Neumarkt-Aufsatz hatte Dvořák
Henry Thodes Giotto-Buch, das die malerischen Neuerungen um 1300 als Folge der fran-
ziskanischen Spiritualität deutet, als „Religionsüberschätzung“ kritisiert115. Dennoch ver-
rät nicht zuletzt die Van-Eyck-Studie eine noch immer ambivalente Haltung gegenüber
der Relevanz der Realhistorie. Auf der einen Seite bekundet Dvořák deutlich seine Skepsis
gegenüber kulturgeschichtlichen Parallelisierungen und (ganz entgegen seiner eigenen
Praxis) Erläuterungen nach „Analogien der Tagesereignisse“116. Auf der anderen Seite er-
gänzt er die kunsthistorische Analyse aber sehr wohl durch lange Exkurse in die politi-
sche, v. a. aber die Wirtschafts- und Kulturgeschichte. So begründet er das Interesse an
künstlerischer Innovation und Internationalisierung im frühen 15. Jahrhundert durch ein
an Frankreich orientiertes Luxusbedürfnis der prosperierenden bürgerlichen Kultur der
südlichen Niederlande. Und er vergleicht dieses Phänomen gegenwartsbezogen mit dem
111 Entwicklung des Impressionismus in Malerei und Plastik, Ausstellungskatalog (Wien 1903) 23, Kat. Nr. 1.
Vgl. Aurenhammer, Dvořák, Tintoretto und die Moderne (wie Anm. 5) 14.
112 Dvořák, Geschichte der mittelalterlichen Kunst I 1906/07 (wie Anm. 100) 249.
113 Alois Riegl, Spätrömische Kunstindustrie (Wien 21927) 9.
114 Dvořák, Geschichte der mittelalterlichen Kunst I 1906/07 (wie Anm. 100) 17.
115 Dvořák lehnt es daher ab, einen „kausalen inneren Zusammenhang zwischen dem neuen Religionsleben und
Glauben und der parallelen formalen Kunstentwicklung konstruieren zu wollen“. Dvořák, Illuminatoren
(wie Anm. 16) 175.
116 Vgl. Dvořák, Rätsel (wie Anm. 89)16f.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien