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Max Dvořák (1874–1921) 195
Dvořáks späte Analysen beziehen formdeskriptive Kategorien auf weltanschauliche
Typen. Den Geist-Materie-Dualismus sieht er beispielsweise in Malerei und Skulptur
im Wechsel naturalistischer und abstrakter Tendenzen ausgedrückt. Dasselbe gilt in der
Architektur für den Gegensatz zwischen dem die Materie betonenden Massenbau und
dem „entmaterialisierten“ Gliederbau – hier wird der Kurzschluss von der Beschreibung
des Sichtbaren zur Divination eines in der Form angeblich manifesten „Geistes“ beson-
ders augenfällig141. Über einem solcherart binär organisierten Grundriss errichtet Dvořák
hoch spekulative geistesgeschichtliche Konstruktionen. Diese sind – vor allem in den
mit hoher Sachhaltigkeit die Widersprüche der behandelten Gegenstände entwickelnden
Vorlesungen, weniger in den auf populäre Wirkung zugespitzten späten Vorträgen – im
Detail allerdings weitaus differenzierter, als der Schematismus erwarten ließe. Das unter-
scheidet Dvořák auch von zeitgleichen plakativeren Positionen wie etwa der Expressio-
nismus-Theorie von Paul Fechter, der 1914 im Anschluss an Worringers Begriffspaar von
Einfühlung und Abstraktion142 die gesamte Kunstgeschichte auf ein Hin und Her von
„Stil und Naturalismus“ verkürzte143.
Auch wenn ihn das Problem des Entwicklungskontinuums nicht loslässt144, sucht
Dvořák jetzt nicht mehr vorrangig nach genetischen Ableitungen und kausalen Erklärun-
gen. Sein eigentliches Thema ist die inkomparable „Eigenart“ der künstlerischen Phäno-
mene145, die er als Ausdruck des Verhältnisses „zu transzendenten Ideen einerseits, zu den
realen Tatsachen und Gütern der Natur und des Lebens andererseits“ begreift146. Diese
Wendung zum hermeneutischen Sinn-Verstehen verdankt sich natürlich dem geisteswis-
senschaftlichen Paradigmenwechsel des frühen 20. Jahrhunderts und seiner Historismus-
Kritik. Dvořák beruft sich ausdrücklich auf Wilhelm Windelband, Heinrich Rickert und
Wilhelm Dilthey147, an dessen „Typen der Weltanschauung“ ja bei allen Unterschieden
auch seine Klassifizierung gegensätzlicher Geisteshaltungen erinnert148. Das geistesge-
schichtliche „Vermögen des Sich-Einfühlens“ in historische Kunstwerke preist Dvořák
schaft (wie Anm. 6) 273–324 ; Artur Rosenauer, Nachwort, in : Max Dvořák. Kunstgeschichte als Geis-
tesgeschichte (Berlin 1995) 278–283 ; De Marchi, Dvořák (wie Anm. 6).
141 Vgl. schon Dvořák, Geschichte der abendländischen Kunst im Mittelalter I 1913/14 (wie Anm. 139) 207–
209.
142 Worringer, Abstraktion und Einfühlung (wie Anm. 134).
143 Paul Fechter, Expressionismus (München 1914). Dazu : Bushart, Der Geist der Gotik (wie Anm. 136).
144 Vgl. Aurenhammer, Revision (wie Anm. 5).
145 Dvořák, Idealismus und Naturalismus (wie Anm. 71) 44, 46.
146 Ebd. 49.
147 Max Dvořák, Idealismus und Realismus in der Kunst der Neuzeit, Vorlesung (WS 1915/16) 12. IKWA.
148 Wilhelm Dilthey, Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den philosophischen Systemen,
in : ders., Weltanschauung, Philosophie und Religion (Berlin 1911). Vgl. auch Hermann Nohl, Die Welt-
anschauung der Malerei (Jena 1908).
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien