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202 Ulfried Burz
Tainach/Tinje von Zunftkollegen aus Wien präsentiert worden waren. Zum einen wurde
der Lehrsatz, wonach es ohne „Abwehrkampf“ keine Volksabstimmung gegeben hätte, in-
frage gestellt, zum anderen die Ansicht vertreten, dass das Plebiszit vom 10. Oktober 1920
von den damals politisch und militärisch führenden Akteuren weniger als ein Sieg für
Österreich, sondern als ein Sieg für das Deutschtum betrachtet wurde. Damit lagen in
Kärnten besondere Bedingungen vor, die auch eine Neubeurteilung der Geschichte Ös-
terreichs im Rahmen des nationalsozialistischen Großdeutschland erfordern. Diese Thesen
entzündeten in den folgenden Jahrzehnten wiederholt heftige Dispute. Es waren Konfron-
tationen, die weder in der Diktion noch in der Argumentationsmethodik, weder in ihrem
Umfang noch in ihrer Wirkung in der Öffentlichkeit, mit anderen Historikerkontroversen
in Österreich vergleichbar sind ; nicht zuletzt deshalb, weil diese Auseinandersetzungen
von einer Redundanz gekennzeichnet sind. Um diese Haltung nicht zu kultivieren, sei
lediglich eine Publikation angeführt, in der alle relevanten Studien, Monografien, Aufsätze
mit Pro- und Kontrastimmen usw. zu diesem breiten Forschungsfeld angeführt sind4. Aus
Aktualitätsgründen ist es angebracht, zu erwähnen, dass Schulbroschüren, Internetseiten
des offiziellen politischen Kärnten und Diskussionsforen rund um die 90-Jahr-Jubiläums-
feier in Erinnerung an die Volksabstimmung zeigen, dass manche Interpretationen rund
um die Jahre 1918 bis 1920 und weit darüber hinaus in der Zwischenzeit korrigiert oder
andere Akzente gesetzt wurden.
2. In der Geschichtswissenschaft, die sich mit brisanten Themata der Kärntner Landes-
historiografie beschäftigt, wird nicht selten der Vorwurf laut, dass Ereignisse nur verkürzt
dargestellt und/oder mithilfe reduzierter, sinnentstellender Belege das Bild vergangener
Geschehnisse verfälschen. In dieser Studie wird deshalb mitunter in extenso zitiert.
3. Um der science community den Einstieg zu weiterführenden Forschungen zu erleich-
tern, werden dort, wo es dem Verfasser möglich war, entsprechende Wegweiser aufgestellt.
Dabei sei an Ausführungen von Gerhard Roth, dem immer wieder an österreichischer
Geschichte Leidenden5, erinnert, der über das Archivwesen pointiert sinnierte : „Jedes
existierende Archiv ist ein Fragment dieses imaginären Gesamtarchives, ein schlafendes
Gedächtnis, aus dem manches verdrängt, in dem manches zerfallen, zerbröselt, also ver-
gessen, anderes durch seine Beamten manipuliert, gefälscht, entfernt wurde – das jedoch
insgesamt noch immer ein codierter Aufbewahrungsort von allen Geschehnissen ist.“6
4 Die Kärntner Volksabstimmung 1920 und die Geschichtsforschung. Leistungen, Defizite, Perspektiven, hg. v.
Hellwig Valentin, Susanne Haiden, Barbara Maier (Klagenfurt 2002).
5 Vgl. dazu Gerhard Roth, Das doppelköpfige Österreich. Essays, Polemiken, Interviews, hg. v. Kristina
Pfoser-Schewig. Mit einem Vorwort von Josef Haslinger und Kommentaren von Gerfried Sperl
(Frankfurt/M. 1995).
6 Gerhard Roth, Die Stadt (Frankfurt/M. 2009) 235.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien