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Martin Wutte (1876–1948) 223
Carinthia I 1906 veröffentlicht worden ist100. Es gibt aber auch Ergänzungen, die, deutlich
erkennbar, für ein ausgewähltes Lesepublikum gedacht waren. Denn während Wutte in
seinem Carinthia-Aufsatz sine ira et studio zwar ebenso dem Deutschtum in Kärnten eine
kulturelle und wirtschaftliche Überlegenheit attestierte, verfiel er in seinen Ausführungen
in den zwei 1907 und 1909 veröffentlichten Artikeln101 in eine Cum-studio-Darstellung,
die mit einer Bilanz und – was für einen Geschichtswissenschaftler fragwürdig ist – mit
nationalpolitischen Arbeitsaufträgen schlossen. In der 1907 erschienen Veröffentlichung
gab der Historiker zunächst einen kurzen Überblick über die Geschichte Kärntens seit
dem sechsten Jahrhundert, wobei die Einleitung beachtenswert scheint : „Kärnten, das
heute zu drei Vierteln von Deutschen bewohnt wird, war vom 6. bis zum 9. Jahrhundert
ein rein slawisches Land.“ Dann wird die Landesgeschichte bis zur „Einwanderung der
Bayern“ skizziert, wodurch nach Ansicht des Verfassers „die Kultur, die materielle so-
wohl als auch die geistige“, gehoben wurde. Nach einem kultur- und sprachhistorischen
Abriss schließt der Autor, gleichzeitig das nächste Kapitel einleitend, mit dem Resümee :
„Die ersten Anfänge einer slowenischen Literatur überhaupt wurden außerhalb Kärntens
gemacht und fallen erst in die Zeit der Reformation, d. i. in die zweite Hälfte des 16.
Jahrhunderts. Und auch dieses erste Erwachen des geistigen Lebens bei den Slowenen war
von kurzer Dauer. Erst seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist ein neuer Aufschwung zu
verzeichnen. Aber noch immer ist die gesamte slowenische Literatur verhältnismäßig sehr
erbärmlich.“ Wutte zieht daraus einen Schluss, untermauert mit statistischem Material,
wobei allerdings jede methodische Erläuterung fehlt102. Erst nach den Forschungsarbeiten
100 Vgl. Martin Wutte, Die sprachlichen Verhältnisse in Kärnten auf der Grundlage der Volkszählung von
1900 und ihre Veränderungen im 19. Jahrhundert, in : Carinthia I, 96 (1906) 153–178.
101 Martin Wutte, Die Fortschritte des Deutschtums in Kärnten und ihre Ursachen, in : Das Deutschtum im
Auslande. Monatsblatt des Allgemeinen Deutschen Schulvereins zur Erhaltung des Deutschtums im Aus-
lande, E.V. 26 (Juli 1907) Nr. 7 Sp. 85–89, und ders., Die deutsche Besiedlung Kärntens, in : Südmark-Jb.
1909 85–93.
102 Wutte, Fortschritte des Deutschtums (wie Anm. 101) Sp.87 : „Mit dieser geistigen Ueberlegenheit des
Deutschtums verbindet sich eine wirtschaftliche, wie sie aus folgendem hervorgeht. Die wichtigste Beschäf-
tigung der Bewohner von Kärnten ist die Landwirtschaft. Ein Vergleich der deutschen Landwirtschaft mit
der slowenischen zeigt, dass gegenwärtig durchschnittlich auf jeden Deutschen 2,8 ha mit 17 Kronen Rein-
ertrag und rund 3,9 Kronen Grundsteuer entfallen, auf jeden Slowenen aber nur 1,9 ha mit 10 Kronen
Reinertrag und 2,3 Kronen Grundsteuer. Aehnlich steht es mit der Viehzucht. Sieht man von den Städten
ab, so kommen auf die 157 000 Bewohner der reindeutschen Bezirke 16 000 Pferde und 150 000 Rinder,
während auf die 161 000 Bewohner der gemischten und slowenischen Bezirke nur 14 000 Pferde und 94
000 Rinder entfallen (Zählung von 1900). Noch ungünstiger fällt der Vergleich für die Slowenen aus, wenn
man Gewerbe und Industrie in Betracht zieht. Alle größeren Betriebe und auch die Mehrzahl der kleineren
sind in deutschen Händen. Die Erwerbssteuer beträgt bei Deutschen 1 Krone für den Kopf, bei den Slowe-
nen 0,4 Kronen. – Im Jahre 1906 gab es in Kärnten 132 deutsche Spar- und Darlehnskassen (= 83 v. H.)
mit unbeschränkter Haftung und nur 27 slowenische, während die deutschsprechende Bevölkerung nur 75
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien