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Martin Wutte (1876–1948) 231
ländern Österreichs hatte es entsprechende Abstimmungen gegeben : 1921 stimmten in
Tirol 98 Prozent der Optanten für einen Anschluss an Deutschland, 99 Prozent waren
es im Mai 1922 bei einer vergleichbaren Abstimmung in Salzburg. Eine österreichische
Bundesregierung demissionierte nicht zuletzt wegen eines weiteren geplanten Plebiszits
in der Steiermark. Aus Kärnten waren schon zuvor warnende Stimmen123 gekommen.
Das Thema Anschluss fließt auch in den autobiografischen Lebenslauf Wuttes ein. Der
Historiker bekennt sich zur Anschlussidee, die aber wegen befürchteter negativer außen-
politischer Implikationen behutsam zu vertreten war ; seine Perspektive dazu – a poste-
riori betrachtet – muss ambivalent gedeutet werden124, weil jeder Anschluss Österreichs
an Deutschland, wie auch jener im März 1938, die Kärntner Volksabstimmung vom 10.
Oktober 1920 konterkarierte. Denn beim Plebiszit war ja die Entscheidung zu treffen,
ob man territorial bei „Oesterreich/Avstrija“ bleiben oder sich „Jugoslavija/Jugoslawien“
anschließen wollte. 1922 wollte Wutte vermutlich in dieser außenpolitisch heiklen un-
gewissen Situation exponierte Gegner des SHS-Staates nicht gefährden. Ein Briefwech-
sel mit Suitbert Lobisser erschließt ein weiteres Ursachenmoment, warum Wutte Zu-
rückhaltung geübt hatte. Lobisser, ein weit über Kärnten hinaus bekannter bildender
Künstler, arbeitete 1927 an „Kartons für das Gedächtnisbild im L.H. [= Landhaus, Anm.
Burz] Sitzungssaal“. Im Zuge dieses Projektes ersuchte er den Leiter des Kärntner Lan-
desarchivs um Unterstützung. Das Bittschreiben ist nicht nur ein Beleg aus erster Hand,
welche Vorstellungen der Maler mit seinem Werk verknüpfte, sondern dokumentiert ein
gewichtiges Stück der Identität Kärntens seit 1920 : Das Bild ist in drei Gruppen aufgelöst,
von denen die linksseitige die Kampfbereitschaft, die rechte den Willen zur Einigkeit, die
mittlere endlich das um das Geschehen interessierte Kärntner Völkchen darstellt. Bei jeder
dieser Gruppen werden Porträts eingeführt, bei den Kämpfern ca 7, (davon habe ich bereits
Fritz, Kronegger, Arneitz), bei der Abstimmung 4, (Dr. Steinacher ist schon da). Auch bei der
Mittelgruppe könnte ich einige anbringen. (Nicht alle Figuren sind infolge ihrer Körperstel-
lung zum Porträt geeignet) – Ich möchte Sie nun bitten, mir für die noch fehlenden Porträts
für alle drei Gruppen Namen zu nennen. Ich brauche z.B. einen Vertreter der Klagenfurter
Studentschaft, einen etwa der damaligen Regierung, oder polit. Vertretung in Paris, einen
Vertreter der Klagenfurter oder Ferlacher-Bleiburger Abwehrkämpfergruppe.125
123 Ausführlicher Walter Goldinger, Dieter Binder, Geschichte der Republik Österreich 1918–1938 (Wien
1992) 81f.
124 Wutte, Lebenslauf 1988 (wie Anm. 38) 16f. „Obwohl seit dem Zusammenbruch des alten Österreich ein
begeisterter Anhänger eines friedlichen und ruhigen Anschlusses, besser Zusammenschlusses Österreichs mit
dem Deutschen Reich, glaubte ich doch, dass sich Kärnten in dieser Frage zurückhalten müsse, da das Verhal-
ten Jugoslawiens und Italiens gegenüber der Anschlußbewegung keinen Zweifel aufkommen ließ, daß diese
beiden Staaten im Falle eines übereilten Anschlusses sofort Kärnten besetzen würden.“
125 Lobisser an Wutte, St. Paul im Lavanttal, 04.11.1927, KLA, NLW, Schachtel 1, 90.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien