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276 Martina Pesditschek
wurde zu einem Sauerteige der revolutionären Gärung ; es sei etwa an das Leben [Adolf]
Fischhofs und [Ludwig August von] Frankls als Beweis, welch große Rolle die jüdischen
Mediziner spielten, erinnert.“80 Später kommt Srbik dann zwar den Erwartungen seiner
zweifellos scharf antisemitisch eingestellten Auditorien entgegen, indem er von „volks-
fremden Männern“ spricht, welche „die Führung an sich zu reißen trachteten“ : „bei ein-
zelnen mag wohl auch ehrlicher alttestamentarischer Fanatismus wirksam gewesen sein, in
so manchem aber dürfen wir nur den gewissenlosen, profitgierigen Volksbetörer sehen“,
wobei ein solcher aber dann doch „von den vielen geistig und ethisch hochstehenden
Revolutionären seiner eigenen Rasse wie Fischhoff [sic] durch einen Abgrund getrennt
ist“81. Als Srbik diesen Aufsatz in den Satz gab, schien es noch durchaus plausibel, dass
die österreichischen Sozialdemokraten, deren Führungspersonal zu einem guten Teil jü-
discher Herkunft war, geradeso wie die Sozialdemokratie im Deutschen Reich auf die
Dauer eine führende politische Rolle einnehmen würden. Da sich Srbik sonst immer sehr
abfällig, ja hasserfüllt über die jüdisch geführte österreichische Sozialdemokratie geäußert
hat82, sollte man in diesem Aufsatz Srbiks am besten nur das Dokument eines äußerst
geschickten Opportunismus sehen, das uns davor warnen sollte, seine späteren politischen
und sonstigen Äußerungen jeweils zum Nennwert zu nehmen83.
1920 erschien die erste Monografie des „neuen“, publikums- und zeitbezugsorientier-
ten Srbik, „Wallensteins Ende. Ursachen, Verlauf und Folgen der Katastrophe. Auf Grund
neuer Quellen untersucht und dargestellt“84. An den „alten“ Srbik erinnerte dabei noch
die sorgfältigste Berücksichtigung von und Grundlegung durch Primärquellen ; allerdings
übersah er gleichzeitig ein wichtiges auf tschechisch veröffentlichtes Stück Sekundärlitera-
tur, ein eindrückliches Beispiel für das Desinteresse, das die deutschen „Führer“ den von
ihnen gemäß Srbik und Konsorten so wohltätig „geleiteten“ slawischen Völkern tatsäch-
lich entgegenbrachten. Srbik war später mit diesem Werk selbst so wenig zufrieden85, dass
80 Ebd. 35f. = 845f.
81 Ebd. 54f. = 864f.
82 Vgl. bes. Srbik, Korrespondenz (Bibl.) Nr. 83 (29.11.1919) : Sie [nämlich die österreichische Sozialdemokra-
tie] steht unter jüdischer Führung, ist von jüdischem, undeutschen Denken durchtränkt und fördert immer mehr
auf Kosten des Deutschtums den Giftstoff im Volk, das Judentum, Ich bin kein Gegner Wiens schlechthin, sondern
Gegner des jüdisch-roten Wiens ; und Nr. 132 (24.07.1925) : Ich […] arbeite seit drei Jahren an der hiesigen Uni-
versität mit andern gegen internationales Judentum und Sozialdemokratie.
83 Vgl. auch Ma-Kircher, Dopsch (Bibl.) 142 : „Die Lektüre der Briefe Srbiks vermittelt in der Zeit des karrie-
remäßigen Aufstiegs noch den Eindruck einer Persönlichkeit, die […] wenig dem Zufall überließ. Jede Rezen-
sion wurde organisiert, wenn nicht persönlich, so über die Seilschaften seiner Freunde. Srbik betrieb Politik,
lange vor seiner Berufung zum Unterrichtsminister.“
84 (Wien 1920) ; vgl. Derndarsky, „Idee“ (Bibl.) 190.
85 Für die Defizite vgl. vor allem Pitcher, Srbik (Bibl.) 84–87 ; Sweet, Writing (Bibl.) 41–43. Gemäß der
feinsinnigen Analyse des Werkes durch Droz, Srbik (1978) (Bibl.) 57f. „Wallenstein apparaissait dans ce
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien