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Heinrich (Ritter von) Srbik (1878–1951) 285
Großdeutschland sollten nach Srbik auch alle Siedlungsgebiete der deutschen Diaspora,
das heißt nicht weniger als ganz Mitteleuropa und „Zwischeneuropa“134 „angegliedert“
werden ; die dort wohnhaften nichtdeutschen Völkerschaften sollten unter Beseitigung
ihrer zumeist gerade erst etablierten mittel- und osteuropäischen Nationalstaaten allesamt
unter deutsche „Führung“ gestellt werden. Insofern basierte Srbiks Doktrin prinzipiell auf
jener von Schönerers Alldeutscher Bewegung, der Srbik offenbar auch noch Ende 1919
verpflichtet blieb135. Nun gab es aber noch ein weiteres wichtiges Element in Srbiks Ideo-
logie, nämlich die sogenannte „Ehrenrettung“ der Habsburgermonarchie, wobei Srbik de-
ren Ehre freilich nur in den Augen von Deutschnationalisten à la Schönerer retten wollte.
So pries er an Altösterreich genau das, was in den Augen anderer, der Monarchie zum Teil
durchaus wohlgesinnter Beobachter136 zu deren Untergang geführt hatte : die „Führung“
der Slawen durch die Deutschen, das heißt : die mangelnde Gleichstellung des slawischen
Elements mit dem deutschen, und die Expansionspolitik auf dem Balkan137, die unwei-
gerlich zu einem Konflikt mit Russland führen musste. In diesem Zusammenhang lobte
Srbik insbesondere auch noch, dass in der k. u. k. Monarchie das „übernationale“ und
„universalistische“ Denken des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation fortgelebt
habe ; dies stellte für Srbik offenbar einen durchwegs positiv zu beurteilenden und zeitlos
gültigen Anspruch der Deutschen auf „Führung“ Europas, wenn nicht (wie der Terminus
„universalistisch“ ja nahelegt) der ganzen Welt dar138.
Hier wurde ein Volk, das österreichische, durch den Geist des Hofes, dann der Geistlichkeit, dann des
Adels geschaffen. Es ist den übrigen Deutschen innerlich fremd geworden, unwiderruflich […]. Dies Volk
ist habsburgisch und spanisch, auch wenn niemand vom Hause Habsburg mehr leben sollte ; möge sein
Verstand nein sagen, sein Instinkt bejaht es.“
134 Das „etwa durch die Linien Danzig-Triest und Riga-Odessa bestimmt ist und durch das Streudeutschtum für
uns gekennzeichnet ist“ ; Heinrich von Srbik, Mitteleuropa. Das Problem und die Versuche seiner Lösung
in der deutschen Geschichte (Weimar 1937, 21938) 5. Vgl. zu diesem Begriff bes. auch Hans Hecker, „Die
Tat“ und ihr Osteuropa-Bild 1909–1939 (Köln 1974) 158–178.
135 Damals schwärmte er in einem Brief an Bauer von einem zukünftigen hohenzollernschen Kaisertum über einem
„großen einigen Alldeutschland“, während er eine Wiederkehr der Habsburger entschieden ablehnte ; Srbik,
Korrespondenz (Bibl.) Nr. 83 ; vgl. Derndarsky, Historie (Bibl.) 155 Anm. 8.
136 Vgl. etwa Hans Kohn, AEIOU : Some reflections on the meaning and mission of Austria, in : The Journal of
Modern History 11 (1939) 513–527, hier 516 (wo auch sehr kritisch zu Srbik).
137 In analoger Weise schrieb Srbiks Freund Glaise-Horstenau 1934, Österreichs Aufgabe sei es, Sprungbrett zu
sein für den Ausdehnungstrieb der Nation in militärisch-politischer, religiöser und wirtschaftlicher Hinsicht, und
pries der Schriftsteller Bruno Brehm 1938 die „Kolonisierungsarbeit der österreichischen Deutschen im Süd-
osten“, vgl. Klaus Amann, Die Brückenbauer. Zur „Österreich“-Ideologie der völkisch-nationalen Autoren
in den dreißiger Jahren, in : Österreichische Literatur der dreißiger Jahre. Ideologische Verhältnisse. Institu-
tionelle Voraussetzungen. Fallstudien, hg. von Klaus Amann, Albert Berger (Wien/Köln 1990) 60–78,
hier 64, 71. Bereits Golo Mann erkannte, dass „unter deutscher Kulturführung“ faktisch „unter deutscher
Obergewalt“ bedeutet : Mann, Historismus (wie Anm. 6) 483.
138 Ganz explizit heißt es am Ende von Heinrich Ritter von Srbik, Das Reich und Mitteleuropa, in : Forschun-
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien