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Heinrich (Ritter von) Srbik (1878–1951) 289
Auch Srbiks Intimus Wilhelm Schüßler150, der seine 1937 erschienene Schrift „Mitteleu-
ropa als Wirklichkeit und Schicksal“ mit dem Satz beschloss „Und so glauben wir mit dem
österreichischen Historiker Heinrich v. Srbik, daß Mitteleuropa, dieser einzige Schauplatz
gesamtdeutscher Geschichte, erst sinnvoll gestaltet werden kann, wenn in diesem Raum der
Reichsgedanke, der Staatsgedanke und der Volksgedanke eine Verschmelzung eingehen zu
einer höheren Wirklichkeit – auf die das deutsche Schicksal seit einem Jahrtausend weist“151,
sah offenkundig im Krieg des Deutschen Reiches mit all seinen Nachbarn jenen Preis, der
für die Realisierung der Srbik’schen Mitteleuropa-Version gezahlt werden müsste, wobei
er diesen aber nicht für zu hoch fand : Drohend bemerkte er, dass nur eine Erfüllung aller
Forderungen Konrad Henleins „den Frieden im Herzraum Mitteleuropas sichern“ könne ;
der Umstand, dass die „jungen Völker des Ostens“ ihrer „Pflicht der Dankbarkeit“ gegen-
über den Deutschen nicht nachkämen152, sei kein Grund für eine „Verzichtstimmung“ der
Deutschen, weil durch „Nichtstun die Gefahren der Zukunft“ ohnehin nicht gebannt wer-
den könnten. Im Hinblick auf die Gefahren, die den Deutschen nun aber gerade durch ein
sche Gerede vom Donauraum, wie es die Wiener Historikerschule damals aufbrachte […] Mein Aufsatz sollte den
Deutschen zum Bewußtsein bringen, wo der Anfang der großen Katastrophe war : im Wiederaufleben des Wiener
Imperialismus, das heißt vor allem im Vorgehen gegen die Tschechen. Daß das keine nachträgliche Konstruktion ist,
könntest Du aus einem Brief ersehen, den ich im Juli 1937 voller Sorge an meinen Kollegen von Srbik schrieb, in
dem ich ihn genau in diesem Sinne warnte (Ritter am 17.07.1947 an den Bruder Hellmut Ritter ; ebd. 436 Nr.
147), Ich habe […] Srbik […] dringend gewarnt vor großdeutschen Machtphantasien (Ritter am 20.06.1961 an
Fritz Epstein ; ebd. 552 Nr. 230). Gleichwohl stellte der herzensgute Ritter im Jahr 1946 auf eine Bitte von
Srbiks Sohn hin, der das damalige Schicksal seines Vaters in den dunkelsten Farben gemalt hatte, dem Wie-
ner Kollegen eine Art Persilschein aus, indem er trotz der Kautele, über seine politische Haltung im einzelnen
[…] nicht näher orientiert zu sein, schlussendlich behauptete : Für die Ausnutzung seines Schrifttums als pro-
pagandistisches Hilfsmittel nationalsozialistischer Ostpolitik ist er nicht selbst verantwortlich zu machen. Sie stellt
vielmehr einen Mißbrauch dar (BAK, N 1166, 327, 26.03.1946), und äußerte sich auch öffentlich, in einem
Aufsatz, dementsprechend : „Politisch hat das Buch [‚Deutsche Einheit‘] (und das Wiener politisch-histori-
sche Schrifttum dieser Jahre überhaupt) als willkommene Unterstützung der großdeutschen Pläne Hitlers
gewirkt, wohl auch seine Machtpolitik auf dem Balkan geistig vorbereiten helfen. Doch ging mindestens das
Letztere weit über die Absichten des Verfassers hinaus“ (Gerhard Ritter, Deutsche Geschichtswissenschaft
im 20. Jahrhundert, in : Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 1 [1950] 81–96, 129–137, hier 134) ;
dafür empfing Ritter dann noch im Jahr 1950 den sprichwörtlichen „Dank vom Hause Habsburg“ sive Srbik,
siehe oben Anm. 7. Zu Ritters Ansichten über Srbiks „Utopien“ vgl. auch noch Cornelissen, Ritter (wie
Anm. 106) 278–291 ; Jürgen Elvert, Mitteleuropa ! Deutsche Pläne zur europäischen Neuordnung (1918–
1945) (Historische Mitteilungen, Beiheft 35, Stuttgart 1999) 293–295. Zum Vorwurf der „Kriegshetzerei“
gegenüber Srbik vgl. auch Derndarsky, Österreich (Bibl.) bes. 195, 207 Anm. 47.
150 Siehe zuletzt Michael Buddrus, Sigrid Fritzlar, Die Professoren der Universität Rostock im Drit-
ten Reich. Ein biographisches Lexikon (Texte und Materialien zur Zeitgeschichte 16, München 2007)
379f.; Klee, Personenlexikon (Bibl.) 563 ; Weber, Lexikon (Bibl.) 536f. Siehe unten Anm. 199f.
151 Wilhelm Schüssler, Mitteleuropa als Wirklichkeit und Schicksal (Köln 1937) 62.
152 Ebd. 59.
Österreichische Historiker
Lebensläufe und Karrieren 1900–1945, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Österreichische Historiker
- Subtitle
- Lebensläufe und Karrieren 1900–1945
- Volume
- 2
- Author
- Karel Hruza
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78764-8
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 678
- Keywords
- Lebensläufe, Werke und gesellschaftliches Wirken österreichischer Historikerinnen und Historiker, Geschichtsforschung
- Category
- Biographien