Page - 5 - in Opfernarrative in transnationalen Kontexten
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Einleitungâ â
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auf Deutsch als âverknĂŒpfte Erinnerungenâ (Assmann 2013a, 176) wiedergege-
ben werden kann, zielt darauf ab, die separierende Logik der Opferkonkurrenz
zu ĂŒberwinden, die nationalen GedĂ€chtnisdiskursen in ihrer VerschrĂ€nkung mit
IdentitÀtspolitiken inhÀrent ist. Zentral dabei ist zum einen die Erweiterung der
wissenschaftlichen Perspektive auf transnationale Konstellationen, wie Roth-
berg es selbst in seinem Buch Multidirectional Memory: Remembering the Holo-
caust in the Age of Decolonization (2009) demonstriert, indem er die Holocaust-
Erinnerung mit der Erinnerung an den Kolonialismus verknĂŒpft. Zum anderen
gilt es, bislang ĂŒbersehene Aspekte und Potenziale in Prozessen des Erinnerns
aufzuzeigen, was gerade auch Aleida Assmanns Modell des âdialogischen Erin-
nernsâ leistet, das auf eine Ăberwindung nationaler GedĂ€chtnispolitiken abzielt:
Zwei Staaten entwickeln ein dialogisches Erinnerungsmodell, wenn sie einseitig oder
gegenseitig ihren eigenen Anteil an der traumatisierten Geschichte des anderen anerken-
nen und empathisch das selbst verursachte und zu verantwortende Leiden der anderen
Nation ins eigene GedĂ€chtnis mit einschlieĂen (2013a, 196).
Um die in den BeitrÀgen dieses Bandes geleistete nuancierte und differenzierte
Auseinandersetzung mit der Figur des Opfers in kĂŒnstlerischen Texten zu fassen,
bieten sich, wie schon weiter oben angedeutet, vier Leit- bzw. SchlĂŒsselbegriffe
an, die Fragen in Bezug auf Opfernarrative aus jeweils einem spezifischen Blick-
winkel perspektivieren. Da Opfer (wie auch TÀter*innen) hÀufig von traumati-
scher Stummheit affiziert sind und sich mit vielfÀltigen Formen des Be- und Ver-
schweigens sowie des Zum-Schweigen-Bringens konfrontiert sehen, stellen sich
zunÀchst Fragen nach der schwierigen ReprÀsentation der Figur des Opfers.
Kommt es schlieĂlich zur Sprache (und erhĂ€lt es eine entsprechende BĂŒhne), so
erweisen sich seine Artikulationen, die im Mittelpunkt des zweiten Abschnitts
stehen, sehr wohl als Mittel zur Erlangung von Handlungsmacht. Im Kampf um
Anerkennung â und Durchsetzung â der jeweils eigenen Interessen bleiben aber
auch hÀufig die Gefahren von (Selbst-)Viktimisierung oder gar Viktimismus sowie
von einer politisch instrumentalisierbaren âEthnisierungâ (Assmann 2013a, 147)
des GedÀcht nisses bestehen. Derartige, mit dem Erheben der Stimme des Opfers
verbundene âFallenâ nĂ€hren und verfestigen â durchaus auch in einem transna-
tionalen Kontext â blockierende Opferkonkurrenzen und schaffen Ambivalen-
zen, die im dritten Abschnitt genauer ausgeleuchtet werden sollen. Ein letzter
Teil befasst sich schlieĂlich mit den im Möglichkeitsraum der Literatur erprobten
Versuchen einer Transgression schematisierender und simplifizierender TĂ€ter-
Opfer-BinaritÀt. Im Folgenden sollen die einzelnen Kapitel sowie die darin Platz
findenden BeitrÀge kurz vorgestellt werden.
Die unter dem Titel âReprĂ€sentation(en)â versammelten BeitrĂ€ge von
Gudrun Heidemann, Ljiljana RadoniÄ und Hajnalka Nagy eint nicht nur der
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Title
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Editor
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana MiloĆĄeviÄ
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, TransnationalitÀt
- Category
- LehrbĂŒcher