Page - 13 - in Opfernarrative in transnationalen Kontexten
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Einleitungâ â
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Aleida Assmanns Konzept des âdialogischen Erinnernsâ zu, das âdas dem Nach-
barn zugefĂŒgte Leid mit ins eigene GedĂ€chtnis auf[nimmt]â (Assmann 2013a, 137).
âĂberkreuzungâ, multidirektionale Erinnerung (Rothberg) und rhizomatische
Erinnerungsvernetzung â hĂ€ufig formal umgesetzt mit Hilfe Ă€sthetischer Verfah-
ren der Vielstimmigkeit wie beispielsweise polyphonen ErzÀhlens oder Montage
(VoĂ) â erscheinen in den BeitrĂ€gen demnach als Ressource bzw. âgeistiger Kor-
rektorâ (Kuhn 2013, 182), die eine (literarisch-kĂŒnstlerische) Ăberwindung tradi-
tioneller Opfernarrative (zumindest partiell) bewerkstelligen.
Torsten VoĂ befasst sich in seinem Beitrag âOpfertĂ€ter und TĂ€teropfer als
Figurationen des Dritten? Versuch ĂŒber ein dialektisches Narrativ in der Aus-
einandersetzung mit totalitĂ€ren Gesellschaften (TiĆĄma, Tellkamp, Antunes)â
einleitend auf theoretischer Ebene mit der Figur des Dritten als einem zentra-
len kulturwissenschaftlichen Paradigma. Im Rekurs auf Beschreibungen der
Figur des Dritten (Lévi-Strauss, Kristeva, Koschorke, von Samsonow, Bedorf,
EĂlinger, SchĂŒttpelz u.a.) wird das Augenmerk vornehmlich auf ihre Funktion
in totalitÀren Gesellschaften gelegt. Hinsichtlich ihrer Literarisierung wird eine
differenzierte Figurentypologie eingemahnt, die dann exemplarisch in den nach-
folgenden Romananalysen von Aleksandar TiĆĄma, Uwe Tellkamp und AntĂłnio
Lobo Antunes vorgelegt wird. Hybridexistenzen, wie sie uns als âOpfertĂ€terâ
und âTĂ€teropferâ in Kapo (TiĆĄma), Der Turm (Tellkamp) und Das Handbuch der
Inquisitoren (Antunes) begegnen, veranschaulichen â so die These von VoĂ â
einen âtotalitĂ€ren Regimen inhĂ€renten Funktionalismusâ. Dieser bringt aber,
wie gerade die Literatur und die ausgewÀhlten Romane zu zeigen vermögen,
ganz verschiedene OpfertÀter- und TÀteropfer-Figurationen hervor, die letztlich
zu einer Differenzierung der Figur des Dritten und ihrer kritischen Funktion im
gesellschaftlichen Diskurs beitragen.
Ausgehend von Michael Rothbergs Begriff der implication untersucht Maria
Roca Lizarazu in ihrem Beitrag âLiaisons Dangereuses: Nachbarn, (Mit-)TĂ€ter
und implicated subjects in Katja Petrowskajas Vielleicht Estherâ die Figur des
Nachbarn als âFigur des Drittenâ. Es wird auf mehreren Ebenen herausgearbeitet,
wie Petrowskaja die Thematisierung von Nachbarschafts
verhÀltnissen nutzt, um
das Opfer-TĂ€ter-Schema und die Dichotomie von âwirâ und âdie anderenâ aufzubre-
chen. So hinterfragt Petrowskaja nationale Opfernarrative unter anderem, indem
sie die ukrainische und die polnische Nachbarschaft und das Nachbarschafts-
verhĂ€ltnis von JĂŒd*innen und Nicht-JĂŒd*innen in beiden LĂ€ndern anspricht oder
Auschwitz und Warschau (Ghetto) sowie das Massaker in Jedwabne (Polen) mit
jenem von Babij Jar (Ukraine) in Beziehung setzt. Der Begriff implication wird
aber auch auf die narrative Ebene des Textes bezogen. In dem mit âDie Listeâ
ĂŒberschriebenen Unterkapitel des Romans wird schlieĂlich auf einer weiteren
Ebene das chronologische und familiÀr-genealogische Prinzip abgelöst durch das
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Title
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Editor
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana MiloĆĄeviÄ
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, TransnationalitÀt
- Category
- LehrbĂŒcher