Page - 21 - in Opfernarrative in transnationalen Kontexten
Image of the Page - 21 -
Text of the Page - 21 -
Gudrun Heidemann
Eingeblendete NS-Opfernarrative:
GenerationsĂĽbergreifende Latenz-Effekte
in Literatur (Rymkiewicz, Wodin) und Comic
(Hoven)
Opfernarrative stehen zunehmend unter Verdacht. Im besonderen MaĂźe betrifft
dies die von Norman G. Finkelstein mit seiner 2000 erschienenen Publikation
sogenannte Holocaust Industry (2000 und 2001), die diesem Autor zufolge das
jüdische Leiden – gelenkt von Verschwörungen in den USA – ausbeutet. Peter
Novick, dessen The Holocaust in American Life (1999 und 2001) Finkelstein ins-
piriert hatte, fĂĽhrte die verkitschte Sakralisierung des Holocaust als einzigartiges
Ereignis in die Opferdebatte ein. Beide Streitschriften wenden sich an ein ameri-
kanisches Publikum, weshalb ihre deutschen Ăśbersetzungen mit einem Vor- bzw.
Nachwort der Autoren versehen sind, die auch deutlich machen, dass sich die
Thesen nicht ohne Weiteres auf deutschsprachige Diskurse ĂĽbertragen lassen.
Zeitgleich machten Aleida Assmann und Ute Frevert in Geschichtsvergessenheit –
Geschichtsversessenheit: Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945
(1999) auf die Inflation von Erinnerungsdebatten aufmerksam. Ihr voraus gingen
im Nachkriegsdeutschland laut Assmann (2007) Etappen wie die anfängliche
Erinnerungsabwehr zwecks Amnes(t)ierung der Täter*innen, die folgende Kritik
an den blinden Flecken in der Vergangenheitsbewältigung und anschließende
Erinnerungspolitik, die den Holocaust allgegenwärtig machte. Die hierbei ins
Spiel gebrachten Vermarktungsstrategien liegen unter anderem in dem Dilemma
begrĂĽndet, dass gerade die Kulturindustrie die Erinnerung verbreitet, die hier-
durch aber verstellt oder gar verzerrt wird (Werz 2014).
Angesichts der FĂĽlle unterschiedlichster Narrationen, Erinnerungsorte und
Gedächtnisveranstaltungen gerieten zwischenzeitlich die Opfer nicht nur unter Ver-
dacht, sondern in Konkurrenz (Chaumont 2001; Franzen und Schulze Wessel 2012)
um Anerkennung – selbst mit der Täterschaft – und mitunter in eine zukunftsläh-
mende und kritikimmune Opferfalle (2015), wie der ĂĽbersetzte Titel der Monografie
des italienischen Literatur
wissen
schaft
lers Daniele Giglioli lautet.1
Wie prekär der Opferstatus und -diskurs gerade im vom National sozialismus
bis heute traumatisierten Deutschland ist, verarbeitete die Regisseurin Frauke
1  Die italienische Originalausgabe erschien unter dem Titel Critica della vittima: Un esperimento
con l’etica bei Nottetempo.
Open Access. © 2020 Gudrun Heidemann, publiziert von De Gruyter.
DiesesÂ
Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz.
https://doi.org/10.1515/9783110693461-002
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Title
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Editor
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana Milošević
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, Transnationalität
- Category
- LehrbĂĽcher