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56â â Ljiljana RadoniÄ
sie zu wahren, auch explizit als Ziel angegeben wird. Einzig die jĂŒdischen Opfer
werden in dieser Installation wie in Washington abgebildet.
1.2 Gesichter drei Stockwerke hoch im Haus des Terrors
Das Haus des Terrors wurde von der Fidesz-Partei initiiert und im Wahlkampf
2002 von Viktor Orbån als staatliches Museum eröffnet. Es befindet sich in
einem GebÀude, das zunÀchst den ungarischen NS-Kollaborateur*innen, den
Pfeilkreuzler*innen, als Parteizentrale inklusive Folterkeller gedient hatte und von
1945 bis 1956 zum Hauptquartier der sozialistischen Geheimpolizei wurde (Csillag
2002, 20â21). Dass dieses Museum Anleihe am Tower of Faces genommen hat, ist
noch offensichtlicher als im slowakischen Fall, denn hier reicht die Installation mit
den PortrĂ€ts der Opfer wie im USHMM ĂŒber alle drei Stockwerke des Museums.
Auf den zweiten Blick offenbaren sich jedoch erhebliche Unterschiede. Ăber der
Installation steht das Wort âĂldozatokâ bzw. âVictimsâ, was in dieser Allgemein-
heit bereits einen ersten Hinweis darauf gibt, dass es sich nicht etwa um die Opfer
aus einem bestimmten Ort oder von einem bestimmten Fotografen aufgenommene
individuelle Zeugnisse handelt. Alle Fotografien sind gleich groĂ â es sind erken-
nungsdienstliche Aufnahmen, also unter Zwang hergestellte Fotografien. Der sow-
jetische Panzer, der sich am FuĂe der dreistöckigen Installation befindet, offenbart,
um âwessenâ Opfer es sich handelt â die Opfer der NS-Kollaborateur*innen, die in
diesem Haus ebenfalls gefoltert wurden, sind hier ausgespart.
Das Museum konfrontiert die Besucher*innen zwar zunÀchst mit einer Gleich-
setzung von Pfeilkreuz und rotem Stern, die nebeneinander auf der Fassaden-
installation, im Eingangsbereich und ĂŒberall sonst im Museum zu finden sind.
Doch sind der Pfeilkreuzler-Herrschaft bloĂ zweieinhalb, dem sozialistischen
Terror hingegen ĂŒber zwanzig RĂ€ume gewidmet (Virag 2006, 106). Die jĂŒdischen
Opfer sind vor allem in einer Video-Projektion von Eis, das einen Fluss hinunter-
treibt, prĂ€sent. Die Installation steht fĂŒr die Gewohnheit der Pfeilkreuzler*innen,
JĂŒd*innen âin die Donauâ zu schieĂen. Die Holocaust-Erinnerung scheint fĂŒr die
âeigeneâ, kollektive OpfererzĂ€hlung zu bedrohlich und wird deshalb an den Rand
gedrĂ€ngt. Die Ăbernahme der Ăsthetik und Botschaft des USHMM erweist sich
somit auf zweierlei Weise ins Gegenteil verkehrt: einerseits werden statt der jĂŒdi-
schen Opfer des US-amerikanischen âVorbildsâ nun nicht-jĂŒdische Ungar*innen
als Opfer der Sowjets ausgestellt und die jĂŒdischen Opfer trotz der Geschichte
des Hauses in dieser Installation unterschlagen. Andererseits werden hier auch
âunsereâ, die ungarischen Opfer des sozialistischen Regimes nicht individualisiert
dargestellt, sondern uniform, von TĂ€ter*innen aufgenommen und als ungari-
sches Kollektivopfer in ein nationalistisch-revisionistisches Narrativ eingefloch-
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Title
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Editor
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana MiloĆĄeviÄ
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, TransnationalitÀt
- Category
- LehrbĂŒcher