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Opfer ausstellen
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gewaltige Machtübernahme wie es ihnen vorgeworfen wurde, aber sie verbrei-
teten rassistische und antisemitische Broschüren und Rundschreiben. Donáth
war Parlaments abgeordneter, der Direktor der Partei des Ungarischen Lebens in
Budapest und stimmte für die Einführung der Judengesetze“ (Ungváry 2006, 215).
Die im Haus des Terrors vorgenommene Zuordnung als Opfer oder Täter*innen
erfolgt durchgängig vor der Interpretationsfolie der sozialistischen Repressionen
als dem größeren Übel und ist schlicht das Gegenteil einer Ausstellung, die kom-
plexe historische Verschränkungen multiperspektivisch aufzeigen will.
4 Fazit
Die Individualisierung der jüdischen Holocaust-Opfer findet im slowakischen
sowie im kroatischen Museum statt, während sie im litauischen und im unga-
rischen Museum für das ‚eigene‘ Opfernarrativ zu bedrohlich zu sein scheint.
Warum schlägt sich in den ersten beiden Museen die Universalisierung des
Holocaust im Sinne der Übernahme des Traumas einer Gruppe als gesamtgesell-
schaftliches Trauma nieder? Kroatien und die Slowakei waren vor ihrer Unabhän-
gigwerdung 1991 respektive 1993 beide nur als NS-Satellitenstaaten (mehr oder
minder) eigenständige Länder. Im Gegensatz etwa zur Tschechischen Republik
bezogen sie sich im Zuge der Neuerfindung von Geschichte in den 1990er Jahren
nicht etwa auf die Demokratie der Zwischenkriegszeit. Vielmehr wurde der NS-
Satellitenstaat als Meilenstein auf dem Weg zur nationalen Unabhängigkeit ver-
klärt und die „Errungenschaften“ des „Unabhängigen Staates Kroatiens“ und der
„Slowa ki schen Republik“ für die nationale Sache positiv hervorgehoben. Beide
hinkten in den 1990ern in der Konsolidierung der Demokratie ihren Nachbarstaa-
ten hinterher. Nicht nur der kroatische EU-Beitritt verzögerte sich aufgrund des
Krieges, aber auch des Erbes des von 1990 bis 1999 semi-autoritär regierenden
Präsidenten Franjo Tuđman. Auch war lange unklar, ob die Slowakei nach der
langen Regierung von Vladimír Mečiar 2004 den EU-Beitritt schaffen würde. Die
explizite ‚Anrufung‘ internationaler Standards bei der Vorbereitung der 2004
respektive 2006 eröffneten ständigen Aus
stel lungen beinhaltete die Übernahme
der aus Holocaust-Museen übernom
menen Ästhetik und Individualisierung vor
allem der jüdischen Opfer. Roma-Opfer wurden zwar als Resultat dieser Ent-
wicklung ebenfalls erstmals berücksichtigt, jedoch (noch?) nicht als Individuen
mittels Privatfotografien und eigener Zeugnisse dargestellt. Der Anrufungscha-
rakter dieser Praxis wirkt zugleich wie ein Lippenbekenntnis, denn die Empathie
für das individuelle Opfer impliziert keinesfalls eine schonungslose Aufarbeitung
der eigenen Täterschaft. Eine Anspielung darauf, dass das eigene Kollektiv ‚wie
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Title
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Editor
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana Milošević
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, Transnationalität
- Category
- Lehrbücher