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Opfernarrative in transnationalen Kontexten
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76    Hajnalka Nagy Erstens ist hier die widersprĂŒchliche Beurteilung des Endes des Zweiten Weltkriegs als Befreiung (in der Interpretation des Staates) oder als Niederlage zu nennen (im Sinne des deutschnationalen Bevölkerungsteils, vgl. dazu Rettl 2006, 12), mit der der sogenannte Opfermythos im engen Zusammenhang steht.2 Der mit der UnabhĂ€ngigkeitserklĂ€rung von 1945 entstandene GrĂŒndungsmy- thos der Zweiten Republik ermöglichte nĂ€mlich nicht nur die Verleugnung von Schuld und Verantwortung, sondern auch die „Vielfachkodierung des Begriffs des Opfers“ (Lehnguth 2010, 119),3 die eine eigenartige „TĂ€ter-Opfer-Umkehr“ provozierte (Botz 1997, 232). Unmittelbar nach dem Krieg galten demnach nicht nur sĂ€mtliche zivile Opfer der Bombenangriffe als Kriegsopfer, sondern auch die Wehrmachtssoldaten, die ihr Leben – gemĂ€ĂŸ dem Heldenopfernarrativ – ‚tapfer‘ fĂŒr das Land ‚geopfert‘ hatten (Lehnguth 2010, 119). Auf diese Weise wurden tat- sĂ€chliche Opfer der NS-Verfolgung bis in die 1980er Jahre aus dem österreichi- schen GedĂ€chtnis getilgt. Erst die Erosion der Nachkriegsmythen in den 1980er Jahren sowie die Waldheim-AffĂ€re 1986 haben in Österreich eine grundlegende VerĂ€nderung der Erinnerungskultur provoziert, die „mit der Neudefinition des VerhĂ€ltnisses zur NS-Vergangenheit“ auch „ein Neuverhandeln der Geschichte“ (Uhl 2002, 221) mit sich brachte. Obwohl das Opfernarrativ allmĂ€hlich von einem kritischen TĂ€tergedĂ€chtnis abgelöst wurde, sind alte GedĂ€chtnisformationen par- tiell heute noch wirksam. Im österreichischen SelbstverstĂ€ndnis herrscht immer noch ein sogenanntes „TĂ€ter-Opfer-GedĂ€chtnis“ (Botz 1997) vor, das sich zwar die eigene Kollaboration und Mitverantwortung eingesteht und an eine supranatio- nale Holocaust-Erinnerung (Lehnguth 2010) anschließt, aber dennoch auf dem eigenen Opfersein beharrt. Der verĂ€nderte Umgang mit der NS-Vergangenheit ermöglichte also keines- wegs, alle Opfer des nationalsozialistischen Regimes gleichermaßen zu rehabi- litieren. Vor allem Erinnerungen sogenannter ethnischer Minderheiten wurden lange Zeit aus der kollektiven ErzĂ€hlung der Nation verbannt. Hier deutet sich die zweite Konfliktlinie an: der ambivalente Umgang mit dem Widerstandskampf der KĂ€rntner Slowen*innen, deren Situation eine spezielle ist, zumal die Mehrheit der Bevölkerung die Partisan*innen wegen ihres Widerstands des Landesverrates 2  Der gesellschaftliche Umgang mit dem Erbe des Zweiten Weltkriegs ist jedoch nicht auf diese zwei Positionen reduzierbar. Siehe dazu zum Beispiel Lehnguths Untersuchung, der vier ver- schiedene GedĂ€chtnisformationen ausmacht, die auch in einzelne Parteipolitiken hineinwirken (Lehnguth 2010). 3  Assmann spricht ĂŒber die doppelte Semantik des Wortes ‚Opfer‘, das einerseits das „Helden- opfer“, andererseits das „Leidopfer“ bezeichnet und somit unterschiedliche Perspektiven und Selbstinszenierungen erlaubt (2013, 145–146). In Bezug auf den spezifischen TĂ€ter/Opfer-Diskurs in Österreich siehe auch Botz 1997.
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Opfernarrative in transnationalen Kontexten
Title
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
Editor
Eva Binder
Christof Diem
Miriam Finkelstein
Sieglinde Klettenhammer
Birgit Mertz-Baumgartner
Marijana Miloơević
Publisher
De Gruyter Open Ltd
Date
2020
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-11-069346-1
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
350
Keywords
Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, TransnationalitÀt
Category
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