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Die Geschichte des/der Anderenâ â
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eine andersartige und sich anders artikulierende Wissensform, die nicht in die
groĂe ErzĂ€hlung der Nation aufgenommen werden kann. Der Körper als Leid-
tragender markiert erneut eine Grenze zwischen Privatem und Politisch-Ăffent-
lichem, die hier wiederholt auch entlang ethnisierter Kriterien abgesteckt wird.
Dieser Körper, in den traumatische Erfahrungen eingeschrieben sind, verweist
dabei nicht bloĂ auf Vergangenes, sondern auf eine Vergangenheit, die nicht
vergeht und die eine RĂŒckkehr in den alten Lebenszusammenhang unmöglich
macht.
KĂ€rntner Slowen*innen bleiben in der endlosen Wiederholung erlittener
Gewalterfahrungen gefangen, in einer iterativen Zeit, die mit der linear ablau-
fenden historischen Zeit des Landes nicht in Ăbereinstimmung gebracht werden
kann. Die Ich-ErzÀhlerin kommuniziert zwischen diesen verschie
denen ZeitlÀu-
fen, wobei sie ihre Position als ein zeitliches Niemandsland, eine Art âZeitkapselâ
beschreibt, in der Gegenwart und Vergangenheit immer gleichzeitig prÀsent sind:
Die Katrca habe einen wunden RĂŒcken gehabt, sagt GroĂmutter und ich stelle mir, auf dem
Bett liegend, den RĂŒcken von Katrca vor, der in meiner Vorstellung aussieht wie ein bemal-
tes Tuch [âŠ]. Hinter dem RĂŒcken meiner GroĂmutter liegend, auf den erzĂ€hlten RĂŒcken von
Katrca starrend, schwebe ich in der Vergangenheit wie in einem Zeittropfen, der in meinem
Kopf kreist. (EV, 126)
Die Textstelle, die sich des Palimpsests als GedÀchtnisfigur bedient (vgl. auch
bei Banoun 2014, 21), um verschiedene Zeiten, RĂ€ume und Erinnerungssub-
jekte miteinander zu verbinden, verdeutlicht auch die Schreibstrategie, die den
ErzÀhlungen der Opfer gerecht werden will, indem sie ihnen das Sprechen aus
der Subjektposition ermöglicht und jene leeren Stellen schreibend umkreist, die
ihre toten Körper hinterlieĂen. Es werden zahlreiche weitere Geschichten ĂŒber
Tote, Ermordete und Leidende aus dem Familien-, Verwandten- und Freundes-
kreis in die ErzÀhlung eingewoben, die zwar mit fremder Stimme sprechen, aber
schlieĂlich als Teil der eigenen Geschichte erkannt werden und das Ich an einem
gemeinsamen Narrativ teilhaben lassen. Ein zentraler Bezugspunkt dieses Narra-
tivs ist das Lagerheft der GroĂmutter und die Briefe von ihren Mitgefangenen, die
der ErzÀhlerin helfen, die (Familien-)Geschichte zu rekonstruieren.8
8â Durch die Lagererfahrungen der GroĂmutter und ihre Briefe von Frauen aus dem KZ erhĂ€lt der
Text eine transnationale Dimension: âIn RavensbrĂŒck trafen die Frauen aus den GrĂ€ben mit den
Frauen aus ganz Europa zusammen, vom KĂ€rntner Rand in ein Zentrum des Krieges geschleppt,
in dem sich die Lebenswege der EuropĂ€erinnen kreuzten.â (EV, 285) Dabei bleiben die konkre-
ten ErzĂ€hlungen dieser Frauen aus verschiedenen LĂ€ndern zwar eine Leerstelle (âwas könnten
sie erzĂ€hlen, ausgehend von diesem Ortâ), durch die Schicksalsgemeinschaft in diesem âTodes-
brennpunktâ (EV, 285) werden ihre Gegenwart und ihre Vergangenheit fĂŒr immer miteinander
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Title
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Editor
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana MiloĆĄeviÄ
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, TransnationalitÀt
- Category
- LehrbĂŒcher