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88â â Hajnalka Nagy
in seiner ErzÀhlung vollkommen ausgeblendet wird. Auf diese Weise fungiert
die österreichische NS-Vergangenheit mit Freud als eine âDeckerinnerungâ, die
die eigenen traumatischen Erinnerungen verdeckt. In diesem Kontext liest sich
auch die Mahnung des iranischen Gedichts am Ende des Romans, das auf das
Verkennen des Wesentlichen anspielt und ihn, Ardi, zum Handeln, nÀmlich zum
RĂŒckzug vom Trugbild der kriegerischen Vergangenheit eines anderen bewegt.
4 Non-lieux de mémoire des Schreibens
Die beiden Romane Engel des Vergessens und Der GedÀchtnissekretÀr verbin-
det nicht nur, dass sie herrschende Diskurse ĂŒber TĂ€terschaft und Opfertum in
der österreichischen Gesellschaft aus einer marginalen Position destabilisieren,
sondern auch, dass sie dies mit Àhnlichen literarischen Verfahren tun. Beide
Romane veranschaulichen die Funktionsweise des kommunikativen GedÀchtnis-
ses, indem sie auf individuelle Erinnerungen und verschiedene GedÀchtnistrÀger
zurĂŒckgreifen und die Art und Weise der Ăberlieferung historischer Erfahrun-
gen aufzeigen. Als âProtokoll[e] einer Spurensucheâ (Banoun 2014, 22) mĂŒssen
sie Leerstellen fĂŒllen, das Nicht-Gesagte bzw. das Unsagbare verbalisieren.
WÀhrend Sadrs Hauptfigur gefÀlschten Erinnerungen auf die Spur kommen und
die TĂ€ter*innen zu einer kritischen Selbstreflexion zwingen will, ringt Haderlaps
Roman mit der Artikulation traumatischer Erfahrungen. Somit problematisieren
beide die Möglichkeiten des ErzÀhlens angesichts der Unsagbarkeit, UnzuverlÀss-
lich keit bzw. der LĂŒckenhaftigkeit von Erinnerungen.
Sie besuchen dabei nicht nur geschichtstrÀchtige, symbolische Erinne-
rungsorte, sondern auch Nicht-Orte der Erinnerung, d.h. unscheinbare, auf den
ersten Blick bedeutungsleere Orte, die die Spuren der Gewaltgeschichte in sich
tragen. In Der GedĂ€chtnissekretĂ€r sind es alte MöbelstĂŒcke, Wohnungen, WĂ€nde
und Pflastersteine, die von vergangenen Verbrechen ein flĂŒsterndes Zeugnis
ablegen. In Engel des Vergessens erscheinen die KĂ€rntner Landschaft, der Wald
und die Bauernhöfe als GedÀchtnistrÀger, in denen sich der Tod, die Vernichtung
und die Zerstörung eingenistet haben und auf diese Weise die Erinnerung an die
Opfer bewahren.17 In beiden Romanen wird die Gegenwart von der Vergangen-
heit heimgesucht, die in beiden FÀllen auch die IdentitÀt des bzw. der Schreiben-
den verunsichert und bedroht. So werden der*die ErzÀhler*in auch körperlich
17â Zur Bedeutung der Landschaft als GedĂ€chtnistrĂ€ger und zur Zerstörung der Naturidylle vgl.
Mare 2015, 198â203 und Äeh Steger 2014, 352.
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Title
- Opfernarrative in transnationalen Kontexten
- Editor
- Eva Binder
- Christof Diem
- Miriam Finkelstein
- Sieglinde Klettenhammer
- Birgit Mertz-Baumgartner
- Marijana MiloĆĄeviÄ
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-069346-1
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 350
- Keywords
- Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, TransnationalitÀt
- Category
- LehrbĂŒcher