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Opfernarrative in transnationalen Kontexten
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Anerkennung als Opfer und Überwindung von Viktimisierungen:     103 Die Inszenierung am Münchner Residenztheater geht zudem darüber hinaus, die Aussagen der Angehörigen, Freund*innen und Arbeitskol leg*innen der beiden Ermordeten nur als deren persönliche Erfahrungen darzustellen. Vielmehr können sie als exemplarisch für andere Hinterbliebene von NSU-Opfern und für andere von institutionellem Rassismus Betroffene wahrgenommen werden. Der Effekt der im Theatertext angelegten Anonymisierung wird in der Inszenierung durch häufige Rollenwechsel unterstützt: Die Schauspieler Gunther Eckes und Paul Wolff-Plottegg sowie die Schauspielerin Demet Gül spielen wechselnd alle 15 Rollen. Ein Laufschriftband zeigt an, in welchem familiären Verhältnis die dar- gestellte Figur zu einem der Opfer steht (z.B. ‚Schwiegermutter‘). Da dabei jedoch keine Namen genannt werden und die geäußerten Erfahrungen sich ähneln, ver- schwimmt – wie auch bei der Rezeption des Theatertexts – beim Zusehen die Möglichkeit einer klaren Zuordnung der Figuren zu einer der beiden Familien. Die Besetzung mit zwei Männern und einer Frau, die wie die NSU-Täterin Beate Zschäpe lange braune Haare hat, stellt zudem eine Spiegelung des NSU- Trios dar: Auch wenn die NSU-Täter*innen in Urteile nicht dargestellt werden, ja nicht einmal über sie gesprochen wird, verweist diese Schauspie lerkonstellation doch auch auf sie und darauf, dass die Opfer, die im Vordergrund der Darstellung stehen, durch dieses Trio zu Opfern gemacht wurden. Die Art und Weise, wie die professionellen Schauspieler*innen in Urteile reale Personen darstellen, erzeugt in der Inszenierung ein Spiel mit wechselnden Verwei- sen auf die Wirklichkeit und die Theatersituation: Die Schauspieler*innen ahmen die Sprechweise der Interviewten nach, verwenden also hauptsächlich solche paraverbale Gestaltungsmittel, wie sie auch in den Originalinterviews vorkom- men (Lehmann 2014), und nähern sich so den Hinterbliebenen an. Umpfenbach bezeichnet die Schauspieler*innen diesem Konzept gemäß als „Stellvertreter […] [, die] im Sinne der Interviewten sprechen [sollen]. Und nicht was anderes daraus machen“ (zitiert nach Watzke et al. 2014).3 Die Sprechweise, die auf die realen Personen verweist, ist in Urteile gebunden an die Körper der Schauspieler*innen, die unterschiedliche Rollen einnehmen, sodass eine Identifikation von Schau- spieler bzw. Schauspielerin und Figur nicht für die Dauer der gesamten Auffüh- rung, sondern höchstens bis zum nächsten Rollenwechsel möglich ist. So werden die Zuschauer*innen immer wieder darauf hingewiesen, dass die Inszenierung trotz ihres Wirklichkeitsbezugs bewusst gestaltet und auf bestimmte Wirkungen angelegt ist: Während die konzeptionell mündliche Sprache des Theatertexts die 3  Die Formulierung „Stellvertreter“ erinnert an Peter Weiss’ Schauspielkonzeption für sein do- kumentarisches Theaterstück Die Ermittlung, welche vorsieht, die Schau spieler*innen sollten als „Sprachrohre“ agieren (1965, 9).
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Opfernarrative in transnationalen Kontexten
Title
Opfernarrative in transnationalen Kontexten
Editor
Eva Binder
Christof Diem
Miriam Finkelstein
Sieglinde Klettenhammer
Birgit Mertz-Baumgartner
Marijana Milošević
Publisher
De Gruyter Open Ltd
Date
2020
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-11-069346-1
Size
15.5 x 23.0 cm
Pages
350
Keywords
Opfernarrative, zeitgenössische Literatur, transnationale Erinnerung, Transnationalität
Category
Lehrbücher
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