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p a r a d i s.
componlrte, die sie mit größter Delicatesse und vielem Ausdruck spielte.
Nach und nach lernte sie gegen 60 Clavierconcerte auf das vollkom-
menste spielen. 1734 trat sie in Begleitung ihrer zärtlichen Mutter
eine musikalische Reise an, besuchte die vornehmsten Hofe und Städte
Deutschlands, w), ihr ihre Talente lund unglücklichen Schicksale große
Aufmerksamkeit und Unterstützung erwarben, und im Sommer 1785
Par i s , wo sie bey ihrem ungefähr halbjährigen Aufenthalt, ebenfalls
durch ihre musikalischen Geschicklichkeiten und ihr bescheidenes und liebens-
würdiges Benehmen der Gegenstand allgemeiner Achtung war. Sie spielte
vor der Königinn, von der sie viele auszeichnende Beweise ihrer Gnade
erhielt, und ließ sich oft mit dem schmeichelhaftesten Beyfall im (Concert
LpiritusI hören. Hierauf reiste sie mit Empfehlungsschreiben von Per-
sonen vom ersten Range an die Königinn von England, den kaiserl.
österr. Bothschafterund andere angesehene Personen, so wie diefvor-
nehmsten Tonkünstler, nach London, spielte auch dort wiederholt vor
der königl. Familie, und genoß die ausgezeichnetste freundliche Behand-
lung ; sie spielte auch außerdem in Carltonhouse, wo sie der damahligePrinz
v. Wales (nachmahls Georg IV.) selbst mit dem Violoncell begleitete,
im Pantheon und in andern großen Concerten. Man nannte sie ein
Phänomen und überhäufte sie mit Beweisen des Beyfalls. Das ihrer
Gesundheit nicht zusagende Clima nöthigte sie im Frühjahr 1736 Eng-
land zu verlassen; sie ging nach Brüssel , und erwarb sich auch dort,
wo sie am Hofe spielte, allgemeinen Beyfall und Gnadenbezeigungen.
Besonders sang sie dort zu allgemeiner Rührung , zu ihrem vor-
trefflichen Soiele, die Eantate, worin der verstorbene liebenswürdige
Dichter P fe f fe l — ihr im Unglück, desAugenlichts beraubt zu seyn,
ähnlich, — die Geschichte ihrer Blindheit so rührend besungen hat.
Noch in demselben Jahre kam sie über B e r l i n , wo ebenfalls allgemei-
ner Beyfall sie krönte, nach Wien zurück, wo sie fortan lebte.
Unstreitig waren ihre Talente sehr ausgezeichnet. War auch ihre
Stimme vielleicht minder machtig als ihre Hand, so war sie doch im
höchsten Grade rührend, und wurde es noch mehr durch ihren Aus-
druck und ihr unglückliches Schicksal. Ihr Gedächtniß, alles, was sie
spielen horte, zu behalten, war bewundernswürdig. Sie rechnete
mittelst gewisser Täfelchen selbst in allen Gattungen der Rechnenkunst,
spielte die meisten Kartenspiele, und tanzte in jüngern Jahren sehr
kunstreich Menuet. Allen ihren ausgezeichneten natürlichen Talenten
und erworbenen Fertigkeiten gaben aber ihre Bescheidenheit, Hei-
tevkeit und andere achtungswürdige Eigenschaften, die ihren Umgang
interessant, unterhaltend und lehrreich machten, und ihr allgemei-
ne Achtung erwarben, den größten Werth. Nach ihrer Rückkehr nach
Wien studirte sie die Setzkunst, und componirte mehrere Sonaten,
Concerte und einige deutsche Opern, obgleich sie in neuern Zeiten
nichts mehr davon herausgab , und eben so wenig mehr sich öffent-
lich hören ließ. Dagegen hatte sie eine musikalische Bildungsan-
stalt zu Wien errichtet, welche der eifrigen Lehrerinn, die hier als
Blinde ihren eigenen Weg wählen mußte, das Zeugniß der trefflich'
den Lehrmethode gab. Sie starb in Wien den 1. Februar 1324.
Österreichische National-Enzyklopädie
Buchstabe N-Sed, Volume 4
- Title
- Österreichische National-Enzyklopädie
- Subtitle
- Buchstabe N-Sed
- Volume
- 4
- Authors
- Franz Gräffer
- Johann Czikann
- Publisher
- H. Strauß
- Location
- Wien
- Date
- 1835
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 13.3 x 22.0 cm
- Pages
- 660
- Keywords
- Nachschlagewerk, Biografien
- Categories
- Lexika National-Enzyklopädie