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I.
EINFLUSSSPHÄREN40
des Kaisers.106 Darüber hinaus enthalten die Aufzeichnungen teilweise äu-
ßerst detaillierte Beschreibungen von Kunst- und Baudenkmälern wie dem
Petersdom in Rom in präziser architektonischer Fachterminologie. Sie ver-
mitteln zweifelsfrei ein authentisches Interesse des Kaisers für italienische
Kunst, Architektur und Altertümer.
Zum anderen wurden im Geschichtsunterricht, dem Hauptfach der
Großprinzen, Porträtstiche von Feldherren oder Staatsmännern als Lehr-
mittelbehelf herangezogen. Diese Methode, die vom 1777 bestellten Ge-
schichtslehrer der beiden älteren Söhne, Sigismund Anton von Hohenwart,
propagiert wurde, schärfte die visuelle Wahrnehmung der Jugendlichen
und begünstigte zugleich die Kenntnis historischer Porträts. Nicht zuletzt
förderte auch die Rezeption von Johann Caspar Lavaters zur gleichen Zeit
erschienenem physiognomischen Werk „Physiognomische Fragmente zur
Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe“ (1775–78), in wel-
chem das Porträt des Menschen als Kennzeichen seiner individuellen Psyche
gedeutet wird und das für den Unterricht der Erzherzoge angeschafft wurde,
eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem menschlichen Konterfei.
Die vielfältigen Einflusssphären, denen sich der Erzherzog während sei-
ner Erziehung in Florenz unter Großherzog Leopold ausgesetzt sah, waren
zweifellos von entscheidender Bedeutung für dessen Entwicklung als Ken-
ner und Sammler von Grafik. Entsprechend soll es in der Folge darum ge-
hen, die Einflussfaktoren dieses Prozesses näher zu beleuchten.
3.1 Kunsterfahrung am toskanischen Hof
Die Erziehung der Großprinzen am toskanischen Hof unter Großherzog Le-
opold wurde mehrfach von den Biografen der Erzherzoge Franz, Karl (1771–
1847) oder Johann (1782–1859) beschrieben und dargestellt.107 Leopolds Auf-
fassung von Pädagogik entsprach modernen Erkenntnissen seiner Zeit. Die
Erziehung der eigenen Kinder gehörte laut dem französischen Schriftsteller
und Reisenden Louis Dutens zu den größten finanziellen Aufwendungen
des Großherzogs.108 Dem sorgfältig konzipierten Erziehungsplan, der sich in
seinen zahlreichen Instruktionen und „Points d’éducation“ offenbart, stand
eine bürgerlich erscheinende, liberale Atmosphäre und eine für aristokra-
106 Die Reinschrift des Tagebuchs wurde von Thomas Kuster ediert: Kuster (2010).
107 Vgl. etwa die grundlegenden Biografien von Wolfsgruber (1899), Zeissberg (1895) und
Theiss (1960).
108 „Un des plus grands objets de la dépense du Grand Duc étoit l’education de ses enfans
[…]“. Dutens (1807), Bd. 2, S. 239.
Porträtgalerien auf Papier
Sammeln und Ordnen von druckgrafischen Porträts am Beispiel Kaiser Franz‘ I. von Österreich und anderer fürstlicher Sammler
- Title
- Porträtgalerien auf Papier
- Subtitle
- Sammeln und Ordnen von druckgrafischen Porträts am Beispiel Kaiser Franz‘ I. von Österreich und anderer fürstlicher Sammler
- Author
- Patrick Poch
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20855-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 326
- Keywords
- Arts, Art Collector, 18th Century, Citizens, Antique Portraits, Kunstsammler, 18. Jahrhundert, Bürger, Antike Porträts, HBJD, European History
- Category
- Kunst und Kultur