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3. HERAUSBILDUNG VON KUNSTKENNERSCHAFT IN DER JUGEND 51
findet sich auf zwei weiteren Blättern, den Darstellungen der Apostel Tho-
mas und Judas Thaddäus, wo er unterhalb der Darstellung den Vermerk
„Cal[l]ot invenit Israel excudit Franciscus delineavit“ bzw. „Israel excud
Ca[l]ot fec. Franciscus delineavit“ hinzufügt. Diese, wenngleich wohl in be-
lustigender Absicht hinzugefügte, Abwandlung der Adresse zeugt zumindest
von einem gewissen Verständnis des Jugendlichen für den arbeitsteiligen
Schaffensprozess eines Tiefdrucks, an dem Zeichner, Radierer und Drucker
bzw. Verleger beteiligt sind.
Sechs Darstellungen aus dem Zyklus Callots, die der hl. Maria, des Chris-
tus als Welterlöser sowie der Apostel Matthäus, Judas Thaddäus, Thomas
und des Jakobus des Jüngeren werden zur Gänze als Federzeichnungen wie-
dergegeben. Charakteristische Merkmale der Radierungen Callots, wie etwa
die unterschiedlichen Schraffuren bei den Gewändern der Heiligen, bleiben
in den Zeichnungen des Erzherzogs ausgespart. Auch bei den Gesichtern der
Heiligen werden die eingeschränkten Möglichkeiten des Jugendlichen deut-
lich sichtbar. Die skizzenhaft angelegten Hintergrundszenen aus den Viten
der Apostel folgen generell den Originalvorlagen, einige der Figuren weisen
eine dezente Kolorierung auf.
Mit der zeichnerischen Nachahmung der Radierungen Callots erschloss
sich Franz eine geeignete Methode, die eigene Wahrnehmung druckgrafi-
scher Werke zu vertiefen, indem er die radierten Linien der Vorlage mehr
oder weniger präzise mit der Feder nachvollzog. Die Anführung des Inven-
tors, der auf den Originalen nicht aufscheint, zeugt bereits von einem sach-
kundigen Zugang des Jugendlichen, der sich wenige Jahre später auch im
eigenhändigen „Catalogue de Portraits“ manifestiert. Diese Art der Ausei-
nandersetzung mit druckgrafischen Arbeiten war für die Entwicklung des
späteren Kaisers als Sammler wie auch für dessen spätere Rezeption von
Porträtgrafik zweifellos von entscheidender Bedeutung.
3.4 Porträtstiche als Lehrmittel im Geschichtsunterricht
Ungeachtet aller kunstkennerschaftlichen Zugänge ist festzustellen, dass
der Anlage der Porträtsammlung in erster Linie außerkünstlerische Motive
zugrunde lagen. Bei den frühesten Erwerbungen, die der Erzherzog aus dem
Wiener Kunsthandel zusammentrug, handelt es sich mehrheitlich um Bild-
nisse unmittelbarer Zeitgenossen, die als Politiker oder Militärs auf europä-
ischer Bühne agierten.146 Diese zielgerichtete Auswahl verdeutlicht bereits,
dass ein historisches Interesse am Bildinhalt weit mehr als kunsthistorische
146 Siehe Kap. 4.1.1.
Porträtgalerien auf Papier
Sammeln und Ordnen von druckgrafischen Porträts am Beispiel Kaiser Franz‘ I. von Österreich und anderer fürstlicher Sammler
- Title
- Porträtgalerien auf Papier
- Subtitle
- Sammeln und Ordnen von druckgrafischen Porträts am Beispiel Kaiser Franz‘ I. von Österreich und anderer fürstlicher Sammler
- Author
- Patrick Poch
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20855-6
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 326
- Keywords
- Arts, Art Collector, 18th Century, Citizens, Antique Portraits, Kunstsammler, 18. Jahrhundert, Bürger, Antike Porträts, HBJD, European History
- Category
- Kunst und Kultur