Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Weiteres
Belletristik
Rausch der Verwandlung
Page - 13 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 13 - in Rausch der Verwandlung

Image of the Page - 13 -

Image of the Page - 13 - in Rausch der Verwandlung

Text of the Page - 13 -

Durcheinander wirft sie einen erregten Wortschwall auf die von dem lächerlich wilden Anblick völlig verwirrte Tochter; Gott sei Dank, jetzt sei alles beim guten Ende, jetzt könne sie ruhig sterben, sie unnütze, alte, kranke Frau. Nur deshalb habe sie ja die Wallfahrt gemacht vorigen Monat, im Juni, nur das, nur das eine habe sie dort erbeten, daß Klara, die Schwester, noch einmal herüberkäme, ehe sie sterbe, und sich um sie, armes Kind, kümmere. So, jetzt sei sie zufrieden. Da – da stehe es ja – nicht bloß geschrieben hat sie’s, nein, telegrafiert für teures Geld, daß Christl hinaufkommen solle in ihr Hotel, und hundert Dollar hätte sie schon vor zwei Wochen geschickt, ja, sie habe immer ein goldenes Herz gehabt, die Klara, immer sei sie gut und lieb gewesen. Und nicht nur hinfahren könne sie mit diesen hundert Dollar, nein, auch vorher sich ausstaffieren wie eine Fürstin, ehe sie Besuch macht bei der Tante in dem noblen Bad. Ja, dort werde sie Augen machen, dort werde sie einmal sehen, wie die vornehmen Leute, die Leute mit Geld, sich’s leicht sein lassen. Zum erstenmal werde sie’s einmal selbst, gottlob, so gut haben wie die andern, und bei allen Heiligen, sie hat sich’s redlich verdient. Was habe sie denn bisher gehabt von ihrem Leben – nichts, immer nur Arbeit und Dienst und Plackerei und dazu noch die Sorge um die alte, unnütze, kranke, unfreudige Frau, die längst schon unter die Erde gehöre und nichts Klügeres tun kann, als endlich abzufahren. Die ganze Jugend habe sie, Christl, um ihretwillen und durch den verfluchten Krieg verpfuscht gehabt, das Herz hätte es immer ihr alten Frau abgerissen, wie sie ihre besten Jahre versäumt. Jetzt aber könne sie ihr Glück machen. Nur recht höflich solle sie sein zum Onkel und zur Tante, immer höflich und bescheiden und sich nicht schrecken vor der Tante Klara, die habe ein goldenes Herz, gut sei sie, und gewiß werde sie ihr weghelfen aus diesem stickigen Nest da, aus diesem Bauerntrog, wenn sie selber einmal unter der Erde läge. Nein, sie solle keine Rücksicht nehmen, wenn am Ende gar die Tante ihr anbietet, mitzufahren, nur weg soll sie aus diesem verkommenen Staat, von diesen schlechten Menschen hier und sich nicht um sie kümmern. Sie selber fände immer einen Platz im Versorgungshaus und schließlich, wie lange wird’s noch dauern … Ah, jetzt könne sie ruhig sterben, jetzt sei alles gut. Immer wieder torkelt sie auf, die alte, aufgeschwemmte, in Tücher und Unterröcke schwer eingemummte Frau, und schwankt und stapft auf ihren elefantischen Beinen hin und her, daß die Dielen krachen. Immer muß sie wieder das große rote Taschentuch sich vor die Augen stopfen, denn die Tränen schluchzen ihr in den Jubel hinein, immer heftiger gestikuliert sie, und immer muß sie in ihrer tumultuarischen Begeisterung innehalten, um sich wieder hinzusetzen, zu stöhnen, sich zu schneuzen und für neuen Wortschwall Atem zu holen. Und immer fällt ihr noch etwas Neues ein, immer redet und redet und lärmt und jubelt sie und stöhnt und schluchzt durcheinander über 13
back to the  book Rausch der Verwandlung"
Rausch der Verwandlung
Title
Rausch der Verwandlung
Author
Stefan Zweig
Date
1982
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
204
Categories
Weiteres Belletristik
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Rausch der Verwandlung