Page - 18 - in Rausch der Verwandlung
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er hat Sorgen mit dem Geschäft. Seit sechzig Jahren, noch vom Großvater her,
gab’s keinen in der ganzen Monarchie, der Gamskrickel so zu richten und
Waidbeute so kunstvoll auszustopfen verstand als Bonifazius Hoflehner und
Sohn. Den Esterházy, den Schwarzenberg, den Erzherzogen sogar hat er die
Jagdtrophäen für die Schlösser präpariert, mit vier oder fünf Gehilfen
gearbeitet, fleißig, sauber und ehrenhaft, von morgens bis spät in die Nacht.
Aber in dieser so mörderischen Zeit, da man einzig auf Menschen schießt,
steht die Klinke wochenlang still, aber das Kindbett der Schwiegertochter und
die Krankheit des Enkels, alles kostet Geld. Immer tiefer biegen sich die
Schultern des schweigsam gewordenen Mannes herunter, und eines Tages
knicken sie völlig ein, wie der Brief vom Isonzo kommt, zum erstenmal nicht
Ottos Schrift, des Sohnes, sondern die seines Hauptmanns, und da wissen sie
schon: Heldentod an der Spitze der Kompanie, dauerndes Gedenken usw.
Immer stiller wird es im Haus; die Mutter hat aufgehört zu beten, das Licht
ĂĽber dem Marienbilde ist erloschen; sie hat vergessen, das Ă–l nachzufĂĽllen.
1916, achtzehn Jahre. Ein neues Wort geht unermĂĽdlich im Haus um: zu
teuer. Die Mutter, der Vater, die Schwester, die Schwägerin flüchten vor ihren
Sorgen in den kleinen Jammer der Papierzettel hinein, von frĂĽh bis nachts
rechnen sie einander das arme tägliche Leben vor. Zu teuer das Fleisch, zu
teuer die Butter, zu teuer ein Paar Schuh: kaum wagt sie selber, Christine,
noch zu atmen, aus Furcht, es sei zu teuer. Wie erschreckt flĂĽchten die
notwendigsten Dinge des nackten Lebens zurĂĽck und verkriechen sich hinab
in Hamsterhöhlen und erpresserische Dachsbauten, man muß ihnen
nachspĂĽren, das Brot will erbettelt sein, die Handvoll GemĂĽse erschlichen bei
der Krämerin, die Eier vom Lande hereingeholt, die Kohlen mit dem
Handwagen vom Bahnhof gekarrt, tägliche Wettjagd Tausender frierender,
hungernder Frauen und täglich kärglicher die Beute. Dabei hat’s der Vater mit
dem Magen, er braucht besondere, bekömmliche Kost. Seit er das Schild
›Bonifazius Hoflehner‹ herunternehmen mußte vom Laden und das Lokal
verkaufen, spricht er zu niemand mehr, nur manchmal preßt er die Hände
scharf an den Leib und stöhnt, wenn er sich allein glaubt. Eigentlich sollte
man den Arzt holen. Aber: zu teuer, sagt der Vater und krĂĽmmt sich lieber
heimlich in seiner Not.
Und 1917 – neunzehn Jahre; zwei Tage nach Silvester haben sie den Vater
begraben, das Geld im Sparkassenbuch reichte gerade noch, die Kleider
schwarzfärben zu lassen. Das Leben wird immer teurer, zwei Zimmer haben
sie schon vermietet an ein FlĂĽchtlingspaar aus Brody, aber es reicht nicht, es
reicht nicht, ob man auch von morgens bis tief in die Nacht robotet.
SchlieĂźlich besorgt ihnen Onkel Hofrat im Ministerium eine Stellung im
Kornenburger Spital, fĂĽr die Mutter als BeschlieĂźerin, sie selbst als
Kanzlistin. Wenn es nur nicht so weit wäre, im Morgengrauen hinaus im
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik