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Rausch der Verwandlung
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Page - 28 - in Rausch der Verwandlung

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dünner Stimme, ob eine Familie van Boolen bei ihnen wohne. »Freilich, freilich«, antwortet guttural der breite, rotstirnige Schweizer, ei, und natürlich habe er Auftrag, ein Fräulein an der Bahn abzuholen. Sie möge nur einsteige ins Auto und ihm gebe den Aufgabeschein für das große Gepäck aus der Consigne. Christine errötet. Jetzt erst bemerkt sie, bös getroffen, wie verräterisch arm das bettelhafte Strohköfferchen ihr in der Hand pendelt, indes bei allen andern Wagen, wie frisch aus der Auslage geholt, funkelnagelneue und metallblanke Panzertürme von Schrankkoffern sich zwischen den farbigen Würfeln und Kuben von kostbarem Juchten, Krokodil, Schlangenhaut und glattem Glacé prunkhaft stauen. Sofort fühlt sie eine Distanz zwischen jenen und sich unverkennbar enthüllt. Scham packt sie an. Rasch etwas lügen! Das andere Gepäck käme erst später nach. Nun, dann könne man gleich losfahren, erklärt – gottlob ohne jede Verwunderung oder Verächtlichkeit – die majestätische Livree und öffnet den Wagenschlag. Ist die Scham eines Menschen an einem Punkte getroffen, so wird unmerklich auch der entfernteste Nerv seines Wesens miterschüttert; die flüchtigste Berührung, der zufälligste Gedanke erneuert und vervielfacht dem einmal Beschämten die erlittene Qual. Von diesem ersten Stoß an hat Christine ihre Unbefangenheit verloren. Mit unsicherm Fuß tritt sie schon ein in das mattdunkle Coupé der Hotelkarosse und zuckt unwillkürlich zurück, kaum sie merkt, hier sei sie nicht allein. Aber jetzt kann sie nicht mehr zurück. Sie muß durch dieses dämmerig Duftende von süßem Parfüm und herbem Juchten, an fremden, unwillig zurückgezogenen Knien vorbei, um ganz feig, die Schulter wie frierend emporgezogen, die Lider gesenkt, an einen rückwärtigen Platz zu gelangen. Aus Verlegenheit murmelt sie dabei bei jedem passierten Knie hastig einen Gruß, als wollte sie durch diese Höflichkeit ihre Gegenwart entschuldigen. Aber niemand antwortet. Entweder muß die Musterung der sechzehn Blicke ungünstig ausgefallen sein oder die Insassen, rumänische Aristokraten, die ein krasses und heftiges Französisch parlieren, haben in ihrer lauten Amüsiertheit den dünnen Schatten Armut gar nicht bemerkt, der sich scheu und still in der äußersten Ecke eingenistet hat. Den Strohkoffer quer an die Knie gedrückt – sie hat keinen Mut, ihn auf einen freien Platz zu stellen – sitzt sie, aus Angst, von diesen wahrscheinlich spöttischen Menschen betrachtet zu werden, tief vorgebeugt, nicht ein einziges Mal während der ganzen Fahrt wagt sie den Blick frei aufzuheben; nur zur Erde starrt sie, nur auf die Dinge abwärts der Sitzbank. Aber schon das luxuriöse Schuhwerk der Frauen läßt sie das eigene plumpe besinnen. Mit schmerzhaftem Vergleich sieht sie die hochmütig straffen Frauenbeine, die unter aufgeschlagenen Sommerhermelinmänteln frech sich überkreuzen, und verwegen gemusterte Sportstrümpfe der Herren; schon diese Unterwelt des Reichtums jagt ihr Schauer der Scham in die Wangen: wie neben dieser nie 28
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Rausch der Verwandlung
Title
Rausch der Verwandlung
Author
Stefan Zweig
Date
1982
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
204
Categories
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