Page - 30 - in Rausch der Verwandlung
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Aber einen Portier in der Hochsaison, wer wagt ihn anzureden, diesen
Kapitän des riesigen Luxusschiffs, der vor seinem Pult mächtig steht und
unerschütterlich durch einen Sturm von Fragen den Kurs seines Willens hält.
Ein Dutzend Gäste warten breiten Rückens vor ihm, dem Gewaltigen, der, mit
der rechten Hand Notizen schreibend, mit jedem Blick und Wink Pagen
abschießt wie Pfeile, rechts und links gleichzeitig Auskunft gibt, den Hörer
am Ohr, eine universalische Menschenmaschine mit ständig gestrafften
Nervensträngen – vor seiner Majestät müssen selbst Wohlberechtigte warten,
wie erst ein unerfahrener, schüchterner Neuling? Derart unansprechbar
scheint Christine dieser Herr des Tumults, daß sie scheu zurücktritt in die
Nische, um respektvoll zu warten, bis der Wirbel sich löst und zerstreut hat.
Aber allmählich wird der lästige Strohkoffer in der Hand immer schwerer.
Vergebens blickt sie sich um nach einer Bank, um ihn niederzustellen. Doch
wie sie sich suchend umblickt, meint sie zu merken – Einbildung
wahrscheinlich oder überreiztes Gefühl –, daß von den Klubsesseln der Halle
bereits ein paar Leute ironisch auf sie blicken und wispern und lachen; einen
Augenblick noch und sie muß die wirklich widerliche Last fallen lassen, so
schwach werden ihr plötzlich die Finger. Aber gerade in diesem kritischen
Augenblick tritt heftigen Schrittes eine künstlich blonde, künstlich junge, sehr
elegante Dame auf sie zu, visiert sie scharf vom Profil her, ehe sie ein »Bist
du es, Christine?« wagt. Und wie Christine spontan ein »Ja« mehr atmet als
spricht, umfängt sie die Tante mit dünnem Wangenkuß und lauem
Pudergeruch. Sie aber, aus ihrer entsetzlichen Verwaistheit endlich etwas
Warmes, Verwandtes wohlwollend spürend, wirft sich in die nur leicht
gemeinte Umarmung derart stürmisch hinein, daß die Tante, dieses
Haltsuchen als verwandtschaftliche Zärtlichkeit deutend, ganz gerührt wird.
Weich fährt sie ihr über die zuckenden Schultern. »Oh, ich freu mich ja auch
riesig, daß du gekommen bist, Anthony und ich, beide freuen wir uns sehr.«
Und dann, sie an der Hand nehmend: »Komm, du wirst dich gewiß etwas
zurechtmachen wollen, eure Bahnen in Österreich sollen ja gräßlich
unkomfortabel sein. Tu dich nur ruhig zusammen – bloß mach nicht zu lang.
Es hat schon zum Lunch gegongt, und Anthony wartet nicht gern, das ist
seine Schwäche. We have all prepared – ach so: alles haben wir vorbereitet,
der Portier wird dir gleich das Zimmer zeigen. Und, nicht wahr, du machst
flink: keine große Toilette, mittags dreßt hier jeder wie er will.«
Die Tante winkt, flugs übernimmt ein livrierter Knirps Koffer und Schirm
und läuft um den Schlüssel. Lautlos saust der Lift zwei Stockwerke hinauf. In
der Mitte des Ganges schließt der Boy eine Tür auf und tritt mit gezückter
Kappe zur Seite. Hier also muß ihr Zimmer sein. Christine tritt ein. Aber
schon an der Schwelle zuckt sie zurück, als wäre sie fehl am Ort. Denn mit
bestem Willen kann die Postassistentin aus Klein-Reifling, gewöhnt, nur
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik