Page - 37 - in Rausch der Verwandlung
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doch gemerkt, sofort, auf den ersten Blick, daß sie ihnen Schande macht mit
ihrer Dürftigkeit – gewiß schämen sich beide schon, der Onkel und die Tante,
um ihretwillen. Aber doch, wie zart die Tante helfen will, wie sie das
Almosen verschleiert, wie sie sich bemüht, ihr nicht wehzutun.
»Wie kann ich denn deine Roben tragen, Tante?« stottert sie. »Die sind
doch gewiß viel zu kostbar für mich.«
»Unsinn, sie passen dir sicher besser als mir. Anthony brummt ohnehin
schon, daß ich mich zu jugendlich anziehe. Er möchte mich am liebsten sehen
wie seine Großtanten in Zaandam, schwere schwarze Seide bis zur Halskrause
hinauf, protestantisch zugeknöpft und oben ein weißes gesteiftes
Hausmutterhäubchen. Bei dir wird er den Kram da tausendmal lieber sehen.
Also komm jetzt und sag, welches du für heute abend am liebsten willst.«
Und mit einem Griff – plötzlich sitzt die leichte Vorzeigegeste der längst in
ihr verschollenen Probiermamsell locker wieder im Handgelenk – nimmt sie
eines der hemdleichten Kleider und faltet es geschickt über das eigene.
Elfenbeinfarben, mit japanischer Blumenbordüre leuchtet es frühlingshaft
neben dem nächstgezeigten aus nachtschwarzer Seide mit roten flackernden
Stichflammen. Das dritte ist teichgrün, an den Enden silbern durchädert, und
alle drei erscheinen Christine so zauberhaft, daß sie an Wunsch oder Besitz
gar nicht zu denken wagt. Denn wie derart prunkhafte und verletzliche
Kostbarkeiten auf ihre unbewehrten Schultern niederfließen lassen, ohne
jeden Augenblick sich zu ängstigen? Wie gehen und sich bewegen in solchem
Hauch von Farbe und Licht? Muß das nicht gelernt sein, solche Kleider zu
tragen?
Aber doch, sie ist zu sehr Frau, um nicht mit demütigem und doch
begehrendem Blick diese köstlichen Kleider zu sehen. Ihre Nasenflügel
spannen sich erregt und die Hand beginnt merkwürdig zu zittern, weil die
Finger schon zärtlich den Stoff betasten möchten, und nur mühsam kann sie
ihre Neugier bezähmen. Die Tante kennt aus verschollener Probiermamsell-
Erfahrung diese Art begehrlicher Blicke, diese fast sinnliche Erregung, die
alle Frauen beim Anblick des Luxus ergreift; unwillkürlich muß sie lächeln
über die plötzlich aufgezündeten Lichter in den Pupillen dieser stillen
Blondine; von einem Kleide zum andern irrlichtern sie unruhig unschlüssig,
und die Erfahrene weiß, welches Kleid sie wählt, sie wird an die andern
reumütig denken. Es macht ihr guten Spaß, die ganz Hingerissene noch mehr
zu überschütten. »Nun, es eilt nicht, ich laß dir alle drei da, du wählst für
heute, was dir am besten paßt, und morgen probierst du das andere. Strümpfe
und Wäsche habe ich dir auch gleich mitgebracht – jetzt fehlt nur was
Frisches und Fesches, das deine blassen Wangen ein bißchen auffärbt. Wenn’s
dir recht ist, gehen wir gleich hinüber in die Stores und kaufen alles ein, was
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik