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Rausch der Verwandlung
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Page - 42 - in Rausch der Verwandlung

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Abendessen! Aber welches wählen von den neuen herrlichen Kleidern? Noch liegen sie, leise leuchtend wie Libellenflügel, nebeneinander auf dem Bett; verführerisch glänzt das dunkle aus dem Schatten, schließlich wählt sie das elfenbeinfarbene für heute als das bescheidenste. Sie nimmt es zärtlich, zaghaft auf und staunt. Nicht schwerer als ein Taschentuch oder ein Handschuh liegt es in der Hand. Rasch schält sie den Sweater ab. die schweren Juchtenschuhe, die dicken Sportstrümpfe, weg alles Schwere und Feste, ungeduldig schon die neue Last der Leichtigkeit zu fühlen. Wie alles zart ist, wie weich und gewichtslos. Nur sie anzufassen, die neue kostbare Wäsche, läßt ehrfürchtig die Finger erschauern, schon das bloße Berühren ist wunderbar. Schnell zieht sie die alte, die harte, die leinene Wäsche vom Leibe; ein Schaum, zärtlich und warm, rieselt das neue, nachgiebige Gewebe über die nackte Haut. Unwillkürlich will sie Licht machen, um sich selbst zu sehen, aber im letzten Augenblick läßt die Hand den Kontakt; lieber den Genuß durch Erwartung noch verzögern. Vielleicht fühlt sich dies köstlich leichte Gewebe nur im Dunkeln so flaumig, so zart, am Ende schwindet sein zärtlicher Zauber im scharfen schneidenden Licht. Nun, nach der Wäsche, nach den Strümpfen noch das Kleid. Sorgfältig – es gehört ja der Tante – stülpt sie sich die glatte Seide über, und wunderbar: wie ein laues, glitzerndes Wasser fließt es von selbst die Schultern hinab und schmiegt sich gehorsam an die Nacktheit, man spürt es gar nicht, wie in Wind gekleidet geht man darin, die Lippen der Luft auf dem weiter schauernden Leib. Aber weiter, weiter, nicht sich an das. Genießen vorzeitig verlieren, flink fertig werden, um sich endlich zu sehen! Rasch die Schuhe an, ein paar Griffe, ein paar Schritte: fertig, gottlob! Und jetzt – das Herz klopft Angst – den ersten Blick in den Spiegel. Die Hand dreht den Kontakt, Licht schießt in die elektrische Birne. Grell, hell, mit einem einzigen Blitz ist das verloschene Zimmer wieder da, die blutenden Tapetenwände, die gepflegt spiegelnden Möbel, die neue vornehme Welt. Noch wagt die ängstlich Neugierige sich selber nicht gleich in den Radius des Spiegels, nur von der Seite schielt sie in das sprechende Glas, das im schiefen Winkel nur den Streif Landschaft hinter dem Balkon und ein Stück Zimmer zeigt. Zu der eigentlichen Probe fehlt noch der letzte Mut. Wird sie nicht noch lächerlicher aussehen als vordem in dem abgeborgten Kleid, wird nicht jeder, wird nicht sie selbst den geborgten Betrug erkennen? So schiebt sie nur ganz langsam von der Seite heran an die Spiegelfläche, als ob man den unerbittlichen Richter durch Bescheidenheit überlisten und betören könnte. Schon steht sie ganz nah vor dem strengen Glas, aber noch immer mit gesenkten Blicken, noch scheut sie den letzten entscheidenden Blick. Da rattert von unten zum zweitenmal der Gong: keine Zeit mehr zu 42
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Rausch der Verwandlung
Title
Rausch der Verwandlung
Author
Stefan Zweig
Date
1982
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
204
Categories
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