Page - 47 - in Rausch der Verwandlung
Image of the Page - 47 -
Text of the Page - 47 -
begonnen, es rasselt, dudelt, trommelt und quäkt wie ein tollgewordener
Blasebalg: die Tanzmusik. Der alte Herr legt seinen brasilianischen Kolben in
den Aschenbecher und zwinkert »Na? Ich sehe dir’s an den Augen an, du
möchtest gerne tanzen?«
»Nur mit dir, Onkel«, schmeichelt sie übermütig (mein Gott, hab’ ich nicht
einen kleinen Schwips?). Immer muß sie gleich lachen, ganz oben sitzt so ein
komischer Kitzel in der Kehle, bei jedem Wort kollert unaufhaltsam ein froher
klingender Triller mit. »Verschwör’s nicht!« brummt der Onkel. »Es gibt
verdammt stramme Jungens hier, drei zusammen nicht so alt wie ich, und
jeder tanzt siebenmal besser als ich greises, gichtisches Nashorn. Aber auf
deine Verantwortung: wenn du Courage hast, dann legen wir los.«
Er bietet biedermeierisch galant den Arm, sie nimmt ihn und schwätzt und
lacht und biegt sich und lacht, die Tante folgt amüsiert, die Musik dröhnt, der
Saal blinkt farbig voll und hell, Gäste sehen neugierig freundlich her, Kellner
rücken einen Tisch zurecht, alles ist freundlich, freudig und willkommsbereit,
es braucht nicht viel Mut, in das bunte Gewirbel abzustoßen. Ein
Meistertänzer ist Onkel Anthony wahrhaftig nicht, unter der Weste schwappt
bei jedem Schritt ein gesparter Wulst Fett auf und nieder, er führt zögernd und
plump, der behäbig grauhaarige Herr. Aber statt seiner führt die Musik, diese
scharf synkopierte, reißerische, diese schmissige und wirbelige und doch
fabelhaft präzis taktierte Satansmusik. Wie ein Hieb jappt jeder rhythmische
Tschinellenschlag bis in die Kniekehlen, aber herrlich, wie weich dann wieder
der Geigenstrich die Gelenke lockert, wie man sich durchgerüttelt, gewalkt,
geknetet und geknechtet fühlt vom grellen Griff des hart vorstoßenden Takts.
Teufelsmäßig gut spielen sie, und wirklich, wie Teufel sehen sie aus, wie
livrierte, angekettete Teufel, diese braunen Argentinier in ihren braunen,
goldbeknöpften Jacken, toll allesamt miteinander, dort der Schmale,
Brillenfunkelnde, der auf seinem Saxophon so inbrünstig gluckst und gickst,
als söffe er es betrunken aus, und fast noch fanatischer neben ihm der Feiste,
Wollhaarige, der in wohlstudierter Begeisterung scheinbar aufs Geratewohl
holzhackerisch in die Tasten schlägt, während sein Nachbar, das Breitmaul
breitgefletscht bis zum hintersten Zahn, eine unverständliche Wut in Pauke
und Klingelwerk prasselt. Alle scheinen sie von der Tarantel gestochen,
unablässig rücken und zucken sie wie unter elektrischen Schlägen auf ihren
Sesseln hin und her, mit äffischem Geschlenker und forcierter Ingrimmigkeit
berserkern sie auf ihre Instrumente los. Aber diese höllische Lärmschmiede –
sie spürt es mitten im Tanz – arbeitet dabei präzis wie eine Nähmaschine; alle
diese negerhaften Übertreiblichkeiten, das Grinsen, die Gickser, die
Gebärden, die Griffe, die anpeitschenden Rufe und Spaße, sie sind vor
Spiegel und Notenblatt bis ins winzigste Detail geprobt, der gespielte Furor,
er ist vollendet gespielt. Das scheinen die hochschenkeligen, schmalhüftigen,
47
back to the
book Rausch der Verwandlung"
Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik