Page - 51 - in Rausch der Verwandlung
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Saal herum. Stolz geht sie an seinem Arm, fühlt, wie sich bei diesem sicheren
Geradeausblicken ihr Nacken strafft, und ahnt, wie sie durch diese gestraffte
Geste jünger und schöner wird. General Elkins, dem sie im Gespräch offen
eingesteht, daß sie hier zum ersten Male sei und noch gar nicht das
eigentliche Engadin, Maloja, Sils-Maria kenne, scheint eher erfreut als minder
respektvoll nach dieser Eröffnung: ob sie ihm dann nicht erlauben wolle, sie
morgen vormittag in seinem Auto nach Maloja zu führen. »Wie gern«, sagt
sie, ganz erschrocken vor Glück und Respekt, und drückt – woher hat sie
plötzlich den Mut? – dem alten vornehmen Mann beinahe kameradschaftlich
dankbar die Hand. Immer heimischer, immer selbstsicherer fühlt sie sich in
dem heute morgen noch so feindseligen Raum, seit alle Menschen geradezu
wetteifern, ihr unvermutete Freude zu bereiten, seit sie sieht, wie voll und
vertraulich sich hier flüchtiges Beisammensein ins Gesellige bindet, indes
unten in ihrer engen Welt einer dem andern die Butter auf dem Brot neidet
und den Ring am Finger. Ganz hingerissen berichtet sie dem Onkel und der
Tante von der gütigen Einladung des Generals, aber man läßt ihr nicht viel
Zeit zum Gespräch. Zum nächsten Tanz holt sie abermals jener deutsche
Ingenieur, quer durch den ganzen Saal schreitet er auf sie zu, durch ihn lernt
sie noch einen französischen Arzt kennen, durch den Onkel dessen
amerikanischen Freund und eine ganze Reihe anderer Leute, deren Namen sie
vor Aufregung und Glück nicht versteht: in zehn Jahren hat sie nicht so viel
gütige, höfliche, elegante Menschen um sich gehabt wie seit diesen zwei
Stunden. Man fordert sie auf zum Tanz, bietet ihr Zigaretten und Liköre an,
lädt sie zu Ausflügen und einer Bergpartie, jeder scheint neugierig, sie
kennenlernen zu wollen, und jeder verwöhnt sie durch die hier allen
Menschen anscheinend selbstverständliche Liebenswürdigkeit. »Du machst ja
Furore, Kind«, flüstert ihr die Tante zu, selber stolz auf den Wirbel, der um
ihren Schützling entsteht, und erst ein mühsam verstecktes Gähnen des
Onkels mahnt die beiden Frauen, daß der alte Mann allmählich müde
geworden ist. Aus Eitelkeit leugnet er zwar die sichtliche Erschöpfung,
schließlich gibt er aber nach. »Ja, es ist vielleicht besser, wir ruhen uns alle
ausgiebig aus. Nicht zuviel auf einen Hieb. Morgen ist auch wieder ein Tag,
und we will make a good job of it.« Einen Blick noch wirft Christine in den
zauberischen Saal, lichtspiegelnd aus Kandelabern und elektrischen Kerzen,
bebend von Musik und heller Bewegung: wie aus einem Bad gestiegen fühlt
sie sich, erneuert und erfrischt, alle Nerven beben ihr vor Freude. Dankbar
stützend nimmt sie den Arm des alten Mannes, beugt sich rasch nieder und
küßt in unwiderstehlicher Erregung seine zerfaltete Hand.
Und dann im Zimmer allein, staunend, verwirrt, über sich selbst erschreckt
und über die Stille, die plötzlich um sie steht: jetzt erst fühlt sie, wie heiß ihr
die Haut unter dem lockeren Kleid aufbrennt. Zu eng ist mit einemmal der
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik