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Rausch der Verwandlung
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Page - 58 - in Rausch der Verwandlung

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beinahe hätte ich Sie überrannt.« Er antwortet nicht gleich, sondern sieht sie wohlgefällig, ja begeistert an, wie sie knapp vor ihm glüht, mit windgefrorenen Backen, mit auf und niederatmender Brust, noch ganz durchschüttert vom Schwung. Den sportlichen Mann bezaubert dieses Dastehn in Jugend und Kraft, er strahlt sie nur an. Dann erst lockert er die Haltung. »Allerhand Achtung! Das nenne ich Tempo. Das macht Ihnen keiner von den protokollierten Bergführern nach. Aber … « er sieht sie neuerdings an, prüfend, zustimmend und abermals lächelnd, »wenn ich einen so jungen und frischen Hals hätte, ich würde doch mehr achtgeben, ihn mir nicht zu brechen. Verflucht unvorsichtig gehen Sie mit sich um! Ein Glück, daß nur ich das gesehen habe und nicht Ihre Tante. Und vor allem sollten Sie solche morgendlichen Extratouren nicht allein machen. Wenn Sie einmal einen mittelmäßig geübten Begleiter brauchen, der Unterzeichnete hält sich bestens empfohlen.« Wieder sieht er sie an, und sie fühlt sich verlegen werden von der unverhofften, gleichsam in einen Stoß gefaßten Werbung seines Blicks. Noch nie hat ein Mann sie so leidenschaftlich bewundernd angesehen, bis in die Seele spürt sie das kribblig Eindringende dieser neuen Lust. Um von ihrer Verlegenheit loszukommen, zeigt sie ihren Blumenstrauß. »Sehen Sie, meine Beute! Ganz frisch oben gepflückt, sind sie nicht herrlich?« »Ja, herrlich«, antwortet er mit gespannter Stimme und sieht dabei quer über die Blumen hinweg ihr in die Augen. Immer verlegener fühlt sie sich werden unter dieser eindringlichen und beinahe zudringlichen Huldigung. »Verzeihen Sie, aber ich muß jetzt zum Frühstück«, entschuldigt sie sich, »ich fürchte, ich bin ohnehin schon zu spät«, und will an ihm vorbei. Er verbeugt sich und gibt ihr den Weg frei, aber im Rücken spürt sie noch mit dem unfehlbaren Instinkt der Frau in den Nerven, daß dieser Mann ihr nachblickt; unwillkürlich spannt sie ihren Körper beim Wenden im Schritt. Und wie der starke Atem der Bergblumen und das tonische Arom der durchwürzten Luft geht das unverhoffte Überraschtsein in ihr Blut, daß ein Mann sie auf leidenschaftliche Art schön findet und sie vielleicht begehrt. Noch wie sie in die Halle tritt, wogt dieser Rausch in ihr. Dumpf scheint ihr mit einmal diese eingesperrte Luft, alles lastet ihr plötzlich zu eng, zu schwer am Körper. In der Garderobe wirft sie die Kappe hin, den Sweater, den Gürtel, alles was engt, was drückt, am liebsten risse sie die Kleider von der prickelnden, erregten Haut. Vom Frühstückstisch staunen die beiden alten Leute auf, wie sie plötzlich in den Saal tritt, scharfen beschwingten Schritts, glühend die Wangen, die Nüstern bebend, irgendwie größer, gesünder, geschmeidiger als gestern. Sie legt das Büschel Alpenblau, taufeucht noch und glitzernd von farbig zerquellenden Eiskristallen, der Tante hin: »Für dich heute selbst gepflückt, ganz oben am … ich weiß gar nicht, wie der Berg heißt, ich bin nur so hinaufgelaufen, ah« – sie atmet tief – »es war 58
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Rausch der Verwandlung
Title
Rausch der Verwandlung
Author
Stefan Zweig
Date
1982
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
204
Categories
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