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Rausch der Verwandlung
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Page - 70 - in Rausch der Verwandlung

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bringt das Mädchen schon Blumen ins Zimmer von Lord Elkins. Gestern hat ihr die Tante eine Ledertasche geschenkt und eine entzückende kleine, goldene Armbanduhr. Die fremden schlesischen Gutsbesitzer, Trenkwitz, haben sie eingeladen auf ihr Gut, der kleine Amerikaner hat ihr ein goldenes kleines Taschenfeuerzeug, das sie so sehr bewundert hatte, heimlich in die Ledertasche geschoben. Herzlicher als die eigene Schwester ist das kleine Mannheimer Mädel zu ihr, nachts bringt sie ihr noch Schokoladenbonbons herauf und sie plaudern bis Mitternacht. Der Ingenieur tanzt fast ausschließlich mit ihr, und jeden Tag wirbeln neue Menschen zu, und alle sind lieb und respektvoll und herzlich zu ihr, nur zeigen muß sie sich in der Halle und im Hotel und schon ist jemand da, sie einzuladen ins Auto, in die Bar, zum Tanz, zu irgendeinem Spaß und Spiel, nicht einen Augenblick läßt man sie allein, nicht eine Stunde ihr langweilig und leer. Und immer wieder fragt sie sich erstaunt: »Wer bin ich denn? Jahrelang sind die Menschen auf der Straße an mir vorbeigegangen und keiner hat auf mein Gesicht geachtet, jahrelang sitze ich jetzt dort im Dorf, keiner hat mir was geschenkt und nach mir gefragt. Ist es weil die Menschen dort alle so arm sind, macht die Armut die Menschen so müde und so mißtrauisch, oder ist plötzlich etwas in mir da, was immer schon da war und doch nicht da war, das nur noch nicht heraus konnte? War ich vielleicht wirklich schöner, als ich wagte zu sein, und klüger und anziehender und habe nur den Mut nicht gehabt, es zu glauben? Wer bin ich, wer bin ich eigentlich?« Immer fragt sie sich das in den kurzen Augenblicken, wo sie die Menschen allein lassen, und so geschieht etwas Sonderbares, das sie selbst nicht begreift: aus der Sicherheit wird abermals Unsicherheit. In den ersten Tagen war sie nur erstaunt und überrascht gewesen, daß alle diese fremden vornehmen, eleganten und bezaubernden Menschen sie als einen nehmen von ihnen. Jetzt aber, da sie spürt, daß sie besonders gefällt, daß sie mehr als die andern, mehr als diese rotblonde und so fabelhaft angezogene Amerikanerin, mehr als das witzige, lustige, spritzig kluge Mannheimer Mädel die Neigung, die Neugier, die Spannung all dieser Männer anzieht, wird sie von neuem unruhig. »Was wollen sie von mir?« fragt sie sich und wird immer unruhiger in ihrer Gegenwart. Denn es ist so sonderbar mit diesen jungen Menschen, zu Hause hat sie sich nie um Männer gekümmert, und wenn sie mit ihnen war, nicht ihre Gegenwart beunruhigt gespürt. Nie hat sich ein Gedanke gerührt, ein heimlicher oder sinnlicher, bei diesen schweren Provinzlern mit ihren plumpen, tappigen Händen, denen nur das Bier manchmal die Schwere wegnimmt, mit ihren groben, gleich gemein werdenden Spaßen und ihrer frechen Handgreiflichkeit. Nur Ekel hatte sie gespürt, wie vor Tieren, wenn einmal einer im Rausch aus dem Wirtshaus kommend ihr zuschnalzte oder sie im Amt mit süßlichen Komplimenten umwarb. Aber diese jungen Menschen hier, immer spiegelglatt rasiert und die Hände manikürt, die mit ihrer geschmeidigen Manier allergefährlichste Dinge 70
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Rausch der Verwandlung
Title
Rausch der Verwandlung
Author
Stefan Zweig
Date
1982
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
204
Categories
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