Page - 71 - in Rausch der Verwandlung
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so locker und lustig zu sagen wissen, die ihren Fingern auch bei der
flüchtigsten Berührung Zärtlichkeit zu geben wissen, machen sie manchmal
auf eine ganz neue Art neugierig und unruhig. Sie spürt, wie in ihr eigenes
Lachen ein fremder Ton kommt, wie sie mit plötzlicher Angst wegrückt.
Irgendwie fühlt sie sich unruhig gemacht in dieser scheinbar bloß
kameradschaftlichen und doch gefährlichen Gegenwart, und besonders vor
dem einen, der so deutlich andrängt und um sie wirbt wie der Ingenieur, spürt
sie manchmal ein Gefühl wie eine leichte und doch wollüstige
Schwindligkeit.
Glücklicherweise ist sie selten allein mit ihm, meist sind zwei oder drei
Frauen mit, und in deren Gegenwart fühlt sie sich sicherer. Manchmal wirft
sie einen kleinen Seitenblick aus ihrer Bedrängnis, ob die andern sich besser
zu wehren wissen, und lernt, ohne es zu wollen, allerhand kleine
Raffinements von ihnen, geheuchelte Erbitterung oder frechlustiges
Darüberhinweg bei manchen zu körperlichen Keckheiten und vor allem die
Kunst, rechtzeitig abzubrechen, wenn die Nähe gefährlich wird. Aber auch
wenn sie nicht mit den Männern ist, spürt sie jetzt die Atmosphäre, besonders
wenn sie mit der kleinen Mannheimerin plaudert, die mit einer ihr ganz
unbekannten Offenheit über die heikelsten Themen spricht. Studentin der
Chemie, klug und gerissen, übermütig, sinnlich, im letzten Augenblick doch
beherrscht, sieht sie mit ihren scharfen schwarzen Augen alles, was vorgeht.
Von ihr erfährt Christine alle Affairen des Hotels, daß das kleine grell
geschminkte Persönchen mit den oxydierten Haaren gar nicht die Tochter des
französischen Bankiers ist, als die er sie ausgibt, sondern seine Geliebte, daß
sie zwar in zwei Zimmern schlafen, aber in der Nacht … Sie selber hat es
gehört von nebenan … Und daß die Amerikanerin auf dem Schiff mit dem
deutschen Filmstar etwas gehabt hat, es sei eine Wette gewesen zwischen drei
Amerikanerinnen, wer ihn kriege, und daß der deutsche Major dort
homosexuell sei, der Liftboy hätte dem Dienstmädel darüber einiges erzählt;
als ganz natürliche, selbstverständliche Dinge, ohne Schatten einer Entrüstung
plaudert die Neunzehnjährige im lockern Plauderton der
Achtundzwanzigjährigen die ganze Chronique scandaleuse vor. Und
Christine, die sich schämt, durch ein Erstaunen ihre Unerfahrenheit zu
verraten, hört neugierig zu und blickt nur manchmal von der Seite das
quicklebendige kleine Mädel mit einer Art schauriger Bewunderung an;
dieses kleine schmale Körperchen, denkt sie, muß selbst schon allerhand
erfahren haben, was ich nicht weiß, sie könnte sonst nicht so sicher und
selbstverständlich davon reden, und unwillkürlich macht das Darandenken, an
all diese Dinge, sie unruhig. Es ist als ob tausend neue winzige Poren in ihrer
Haut aufgegangen wären und plötzlich Wärme in sich einsaugten, so brennt
ihr manchmal die Haut, und mitten im Tanz spürt sie sich schwindlig werden.
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik