Page - 80 - in Rausch der Verwandlung
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das Eckzimmer mit dem Balkon.« »Dunkel, stockdunkel, hurra! Kein
Zwirnsfaden Licht, die schlafen schon ausgiebig. So, und jetzt ĂĽbernehme ich
die Führung. Zunächst einmal zurück in die Halle!« »Nein, um keinen Preis!
Wenn Lord Elkins oder wer anderer mich dort sieht, der erzählt’s sofort
morgen zurück, und sie sind ohnehin schon ganz böse auf mich … Nein, ich
gehe gleich hinauf.«
»Dann anderswohin, in die Bar nach St. Moritz. Zehn Minuten Auto und
wir sind drüben, dort kennt Sie niemand und niemand kann Sie vertratschen.«
»Was denken Sie! Sie haben Ideen! Wenn mich hier jemand mit Ihnen
einsteigen sieht ins Auto – das ganze Hotel würde vierzehn Tage nichts
anderes reden.« »Dafür wird gesorgt, das überlassen Sie mir.
Selbstverständlich steigen Sie nicht vor der Haustür offiziell ein, wo die
verehrliche Hoteldirektion vierzehn Bogenlampen knattern läßt. Sie gehen
dort den Waldweg vierzig Schritte bis tief in den Schatten, in einer Minute
komme ich mit dem Auto nach, und in fĂĽnfzehn Minuten sind wir drĂĽben.
Abgemacht, erledigt.«
Immer wieder staunt Christine, wie leicht sich hier alles löst. Ihr
Widerstand zeigt schon halbe Zustimmung. »Wie einfach Sie sich das
vorstellen.« »Einfach oder nicht einfach, aber so ist’s und so wird’s gemacht.
Ich laufe gleich hinüber und lasse ankurbeln. Sie gehen inzwischen voraus.«
Noch einmal, schwächer schon, schaltet sie zögernd ein: »Aber wann sind wir
zurück?«
»Mitternacht spätestens.«
»Ihr Ehrenwort?«
»Mein Ehrenwort.«
Ein Ehrenwort dient einer Frau immer als Geländer, an das sie sich
anklammert, ehe sie fällt. »Also gut, ich verlasse mich auf Sie.«
»Immer scharf links hinüber bis zur Straße und nicht an den Bogenlampen
vorbei. In einer Minute komme ich nach.«
Während sie in die vorgeschlagene Richtung geht (warum gehorche ich
ihm eigentlich so?), fällt ihr ein, ich sollte doch eigentlich … ich sollte
doch … aber weiter kann sie nicht denken, nicht sich erinnern, was sie
eigentlich sollte, denn schon intrigiert sie das neue Spiel, eingemummt in
eines fremden Mannes Mantel, indianerhaft heimlich durch das Dunkel zu
streifen, wieder einmal, wieder einmal aus ihrem sichtbaren Leben heraus in
andere Verwandlung, abermals eine andere, als die sie sich bislang gekannt.
Nur einen Augenblick muĂź sie im Waldesschatten warten, dann tasten schon
zwei breite Lichtfinger die Straße entlang, silbern fährt der aufgeblendete
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik