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Rausch der Verwandlung
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Page - 82 - in Rausch der Verwandlung

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gefühlt bis an die harten, verklammerten Zähne, hat sich gebogen unter der Wucht seiner Umpressung, und niemand ahnt hier unter den Menschen das geringste. Wieviele Frauen haben sich so vor mir verstellt, denkt sie erschreckt, wieviele von denen, die ich kannte zu Hause und im Dorf. Alles hat doppelt gelebt, vielfach und hundertfach, heimlich und offenbar, während ich treuherzige Närrin mir an ihrer Zurückhaltung ein Beispiel nahm. Da spürt sie unter dem Tisch sein Knie sprechend herangeschoben. Sofort strömt ihr Blick über, sie sieht wie zum erstenmal sein Gesicht hart, braun, energisch, mit dem befehlenden Mund unter dem schmalen Bart, sie spürt seine Augen grüßend in sie hineindringen. Unwillkürlich zündet dies alles in ihr einen Stolz. Dieser feste, männliche Mann will mich, nur mich allein und keiner weiß es, nur ich. »Wollen wir tanzen?« fragt er. »ja«, antwortet sie, und in diesem Ja ist mehr. Zum erstenmal ist ihr der Tanz nicht genug und die gemessene Berührung nur ungeduldige Vorahnung leidenschaftlicherer und hemmungsloserer Umarmung; sie muß sich beherrschen, um dies nicht sichtbar zu verraten. Hastig trinkt sie ein, zwei Cocktails, die Lippen verbrannt von den Küssen, von den empfangenen oder von jenen, die sie noch begehrt. Schließlich erträgt sie es nicht mehr, dieses Dasitzen unter den Menschen. »Wir müssen nach Hause«, sagt sie. »Ganz wie du willst.« Zum erstenmal hört sie sein Du, es wirkt wie ein weicher Stoß ins Herz, und ganz selbstverständlich fällt sie beim Einsteigen ins Auto in seine Arme hinein. Zwischen die Küsse strömen jetzt drängende Worte. Nur eine Stunde solle sie zu ihm, ihr Zimmer sei im gleichen Stockwerk, niemand vom Personal sei jetzt noch wach. Sie trinkt die leidenschaftlichen Beschwörungen wie flüssiges Feuer in sich hinein. Ich habe noch Zeit, denkt sie verworren, mich zu wehren, während sie schon ganz überströmt ist von der Welle. Sie spricht nicht und antwortet nicht und empfängt nur aufgetan den Andrang dieser Worte, die sie zum erstenmal von einem Manne hört. An der gleichen Stelle, wo sie eingestiegen ist, macht das Auto halt. Unbeweglich bleibt der Rücken des Chauffeurs, während sie den Wagen verläßt. Sie geht allein in das Hotel zurück, die Bogenlampen vor dem Eingang sind schon ausgelöscht, und rasch durch die Halle; sie weiß, bestimmt kommt er ihr nach, und schon hört sie ihn, sportlich leicht drei Stufen auf einmal nehmend, ganz nah hinter sich. Gleich wird er mich fassen, fühlt sie, und plötzlich packt sie eine wirre, wahnwitzige Angst. Sie beginnt zu laufen und bleibt ihm voran: ein Sprung in die Tür und den Riegel vorgeschoben. Und dann hinbrechend auf einen Sessel, ein einziger beglückter Atemstoß: Gerettet! 82
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Rausch der Verwandlung
Title
Rausch der Verwandlung
Author
Stefan Zweig
Date
1982
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
204
Categories
Weiteres Belletristik
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