Page - 84 - in Rausch der Verwandlung
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gekommen, höchst unerwünschte Ablenkung, denn seitdem steuerte immer
unverkennbarer das Interesse des Ingenieurs Christine zu, sei es, daß der
Nimbus des Reichtums, der adelige Name den guten Rechner beeinflußt hatte,
sei es die lodernde Heiterkeit, jene starke Welle Glück, die von ihr mitreißend
ausging; jedenfalls mit einem noch kindischen Schulmädelneid und
gleichzeitig der energisch aktiven Erbitterung einer Erwachsenen, merkte sich
die kleine Mannheimerin kalt- und zurückgestellt. Der Ingenieur tanzte fast
ausschließlich mehr mit Christine, saß allabendlich am van Boolen-Tisch, es
war, erkannte die Rivalin, wolle man ihn nicht verlieren, höchste Zeit, die
Zügel straff anzuziehen. Nun spürte mit dem Instinkt des Überwachen das
kleine gerissene Mädel schon längst, daß an Christines Überschwang irgend
etwas eigentümlich und gesellschaftlich ungewöhnlich war, und während sich
die andern dem Zauber dieser Unbändigkeit sympathisch hingaben, suchte die
Kleine dem Geheimnis auf die Spur zu kommen.
Ihre Überwachung begann mit einer systematisch gesteigerten Intimität. Sie
faßte Christine beim Spazierengehen immer zärtlich unter den Arm und
erzählte von sich selbst halb wahre und halb unwahre Intimitäten, nur um aus
der andern etwas Kompromittantes herauszulocken. Abends besuchte sie die
Arglose auf dem Zimmer, setzte sich zu ihr auf das Bett, streichelte ihr über
den Arm, und Christine, in ihrem Bedürfnis die ganze Welt zu beglücken,
erwiderte diese herzliche Kameradschaft mit dankbarer Begeisterung,
antwortete achtlos auf alle Fragen und Finten, wich nur instinktmäßig solchen
aus, die an ihr innerstes Geheimnis rührten, wenn zum Beispiel Carla fragte,
wieviel Dienstmädchen sie zu Hause hätten, wieviel Zimmer sie bewohnten,
antwortete sie halbwahr, jetzt lebe sie wegen der Krankheit der Mutter völlig
zurückgezogen am Lande, früher freilich sei es anders gewesen. Aber an
kleinen Ungeschicklichkeiten hakte die böswillige Neugierige sich immer
fester ein, allmählich hatte sie den schwachen Punkt herausbekommen, daß
diese Fremde, die hier mit funkelndem Kleid, Perlenband und der Aura des
Reichtums bei Edwin sie zu verschatten drohte, eigentlich aus kleinem,
beengten Milieu stamme. Ein paar Blößen gesellschaftlicher Sicherheit hatte
sich Christine unwillkürlich gegeben, vom Polospiel nicht gewußt, daß man
dazu reiten muß, sie kannte nicht die Namen geläufigster Parfummarken wie
Coty und Houbigant, sie unterschied nicht die Preisabstufung der Automobile,
war nie bei einem Rennen gewesen; zehn oder zwanzig solcher Indiania
zeigten sie in der mondänen Freimaurerei schlecht bewandert. Auch mit der
Bildung stand es im Vergleich zur Chemiestudentin miserabel: kein
Gymnasium, keine Sprachen, das heißt, sie gestand freimütig, daß sie ein paar
Brocken Englisch, die sie in der Schule gelernt, längst vergessen hatte. Nein,
da stimmte etwas nicht bei dem eleganten Fräulein von Boolen; es galt nur
den Keil tiefer einzutreiben, und mit der ganzen Kraft ihrer kindisch klugen
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik