Page - 91 - in Rausch der Verwandlung
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beschämt sie ein wenig, aber wie darf sie diese Ehre verweigern! Stark,
langsam und fest geht Lord Elkins mit ihr ganz durch die Halle. Er sieht jeden
einzelnen an mit einem rapiden scharfen Blick, was sonst nicht seine
Gewohnheit gewesen ist; deutliche Drohung ist unverkennbar in seiner
Haltung: rührt sie nicht an! Gewöhnlich geht er freundlich und höflich, ein
stiller grauer Schatten durch die andern, man merkt ihn kaum, jetzt aber
fixiert er herausfordernd jede fremde Pupille. Alle verstehen sofort das
Demonstrative dieses Armbindens und seiner betonten Reverenz. Die
Geheimrätin starrt schuldbewußt auf, Kinsleys grüßen gleichsam
erschrocken, wie der alte unerschrockene Paladin mit dem schneeweißen
Haar frostigen Blicks mit dem jungen Mädchen durch den breiten Raum
schreitet, sie stolz und glücklich, ohne irgend etwas Arges zu denken, er einen
harten, militärischen Zug um die Lippen, als stände er an der Spitze seines
Regiments und hätte Attacke zu kommandieren gegen einen verschanzten
Feind.
Vor der Hoteltür steht zufällig Trenkwitz, als die beiden heraustreten;
unwillkürlich grüßt er. Lord Elkins sieht mit Absicht schief an ihm vorbei,
hebt die Hand halb zur Mütze und läßt sie gleichgültig wieder fallen; wie man
einem Kellner für seinen Gruß dankt. Unbeschreibliche Verächtlichkeit liegt
in der Geste: es ist wie ein kalter Hieb. Dann läßt er Christines Arm, öffnet
persönlich den Wagenschlag und lüftet den Hut, während er seiner Dame
einsteigen hilft: es ist dieselbe respektvolle Gebärde, mit der er seinerzeit der
Schwiegertochter des Königs von England bei einem Besuch in Transvaal ins
Auto geholfen hat.
Frau van Boolen ist über die diskrete Mitteilung Lord Elkins’ bedeutend
mehr erschrocken gewesen, als sie hat merken lassen, denn ohne es zu ahnen,
hat er die empfindlichste Stelle aufgerissen. Tief unten in jener
Dämmerschicht des Halbwissens und nicht mehr Wissenwollens, in jener
glatten und glitschigen Sphäre, in die sich das eigene Ich nur ungern und
schaudernd wagt, wohnt in dieser längst bürgerhaft gewordenen und banalen
Claire van Boolen eine jahrealte unauslöschbare Angst, die sonst nur
manchmal im Traum aufsteigt und ihr den Schlaf zerreißt: die Angst vor der
Entdeckung der eigenen Vergangenheit. Als nämlich vor dreißig Jahren die
aus Europa listig abgeschobene Klara ihren van Boolen kennenlernte und
heiraten sollte, fehlte ihr der Mut, dem redlichen, aber etwas philisterischen
Bürger anzuvertrauen, aus welchem trüben Ursprung das kleine Kapital
stammte, das sie mit in die Ehe brachte. Entschlossen hatte sie ihm damals
vorgelogen, diese zweitausend Dollar seien vom Großvater ererbt, und nicht
eine Minute während der ganzen Ehe zweifelte jemals der arglose, verliebte
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik