Page - 118 - in Rausch der Verwandlung
Image of the Page - 118 -
Text of the Page - 118 -
unverständliche Leben.
»Aufgeblasene Gredel, blöde.« Der Krämer Michael Pointner haut die Tür
hinter sich zu, daß sie kracht. »Was diese gschnappige Person sich erlaubt, ist
schon unerhört. So eine Giftnudel.«
»No, no, wer wird sich gleich so aufregen, was hast scho wieder«, beruhigt
ihn mit breitem Lächeln der Bäckermeister Herdlitschka, der auf ihn vordem
Postamt gewartet hat. »Hat dich wer bissen?«
»Weil’s wahr ist. So eine Frechheit, so ein aufgeschraubtes Luder wie die
gibt’s nimmer. Jedesmal hat sie jetzt was andres. Das und das und das ist ihr
nicht recht. Nur sekkieren möcht sie und sich patzig machen. Vorgestern hat’s
ihr nicht gepaĂźt, daĂź ich den Begleitschein zu dem Packel Kerzen mit
Tintenstift geschrieben hab statt mit Tinten, heute macht’s eine Red, sie sei
nicht verpflichtet, schlechtverpackte Pakete anzunehmen, sie habe die
Verantwortung. Zum Krenreiben brauche ich ihre Verantwortung, ich hab
meiner Seel schon tausend Pakete von hier aus spediert, wie die Gans mit
ihrem frechenSchnabel noch im Mist herumgestiert hat. Was die gleich fĂĽr
einen Ton einhängt, so von oben herab, so ›fein‹ Hochdeutsch, daß sie einem
nur ja zeigt, unsereins ist ein Dreck gegen sie. Wen meint sie denn, daĂź sie
vor sich hat. Aber jetzt hab ich’s satt. Mit mir soll sie sich nicht spielen.«
Dem dicken Herdlitschka lacht behagliche Schadenfreude aus den Augen.
»Na, vielleicht hätt’ sie gerad dazu eine Lust, so ein fescher Kerl, was du bist.
Bei solchen unfreiwilligen Jungfern kennt sich keiner aus. Vielleicht gfallst
ihr gut und drum sekkiert sie dich.«
»Mach keine blöden Witz«, murrt der Krämer, »ich bin nicht der einzige,
mit dem sie aufdrehen möcht. Erst gestern hat mir’s der Verwalter von der
Fabrik drĂĽben gsagt, wie sie ihn angeschnauzt hat, bloĂź weil er ein bisserl ein
Spaß gemacht hat. ›Ich verbitte mir das, ich bin hier im Amt‹, als ob er ihr
Schuhputzer wär. In die ist der Teufel gefahren, mit der ist was los. Aber
verlaĂź dich, ich werd ihn ihr schon wieder austreiben. Mit mir wird sie schon
einen andern Ton einhenken mĂĽssen oder sie erlebt was, und wenn ich von
hier zu Fuß bis nach Wien auf die Postdirektion müßt.«
Er hat recht, der brave Pointner, es ist etwas los mit der Postassistentin
Christine Hoflehner, das ganze Dorf hat das seit vierzehn Tagen heraus.
Zuerst hat keiner was gesagt – mein Gott, die Mutter ist dem braven Mädel
gestorben; zuerst, da hat man gemeint, das sei ihr so nahegegangen. Der
Pfarrer ist zweimal herübergekommen sie zu trösten, Fuchsthaler hat jeden
Tag gefragt, ob er ihr helfen könnte, die Nachbarin hat sich abends zu ihr
setzen wollen, damit sie nicht so allein ist, die Frau vom ›Goldenen Ochsen‹
118
back to the
book Rausch der Verwandlung"
Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik