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EINLEITUNG IN DAS PEACE CURRICULUM 15
die Begegnung mit dem Anderen transformiert wird. Die moralische Verpflichtung, die mensch-
liche Verschiedenheit zu begrüßen, weil diese zur „Bereicherung“ unseres Verständnisses des
Menschseins (Multikulturalismus als hermeneutische Aufmerksamkeit) fĂĽhrt, ging nun mit der
Idee, dass wir eine moralische Verpflichtung haben, uns in reflektierter Selbstkritik zu engagieren
– dies wird durch die Begegnung mit dem Anderen möglich – einher. Dies ist auch eine grundle-
gende Komponente zur Beurteilung kosmopolitischen Denkens.
Diese Arten fĂĽr kosmopolitisches Verstehen finden ihren Ursprung im philosophischen For-
schen und Hinterfragen im Sinne einer Forschungsgemeinschaft (community of inquiry) und leis-
ten zur Art der kosmopolitischen Orientierung, die dieses Projekt zu entwickeln versucht, einen
wesentlichen Beitrag. Einerseits fördert die Forschungsgemeinschaft (community of inquiry) die
Begegnung mit dem Anderen, welche die einzigartige Besonderheit des Anderen hervorhebt und
betont, dass wir die moralische Verpflichtung haben, uns ĂĽber Unterschiede hinweg, kritisch,
kreativ und einfühlsam zu engagieren. Das eröffnet unterschiedliche Möglichkeiten sowie Pers-
pektiven und schafft (wie bei den Stoikern) eine neue politisch-soziale Ordnung (die auf demo-
kratischen Prinzipien und moralischen Werten beruht).
Andererseits fördert die Forschungsgemeinschaft (community of inquiry) auch eine kritische Neu-
bewertung des Selbst, wodurch uns die Begegnung mit dem Anderen zur moralischen Verpflichtung
wird, Selbstkritik zu ĂĽben und uns der anspruchsvollen Herausforderungen hinsichtlich unseres En-
gagements und Verständnisses zu stellen – da wir nach Wahrheit suchen und den Anspruch haben,
unsere Identitäten in Beziehung zu dem Anderen aufzubauen (als Individuum und als Gesellschaft).
Dieser Begriff der Selbstkorrektur – ein Konzept, das beim Philosophieren mit Kindern zen-
tral ist – ist für die Bedingung einer kosmopolitischen Vision, die eine „reflektierte Loyalität dem
Bekannten und eine reflektierte Offenheit dem Neuen gegenüber“5 erzeugt, notwendig. Die refle-
xive Dimension der Selbstkritik verändert die Forschungsgemeinschaft von einem Prozess kul-
tureller Begegnung (der Andere wird als der Andere verstanden) zu einem Prozess, in dem neue
Entwicklungsmöglichkeiten und Veränderungen durch die Begegnung entstehen.
Grundlegende Interessen innerhalb verschiedener kosmopolitischer Ansätze
Gerard Delanty skizziert vier zentrale Interessensgebiete im Bereich kosmopolitischen Denkens,
die verschiedene Formen von Kosmopolitanismus definieren.6
• Kosmopolitanismus als Politische Philosophie, die sich mit normativen Prinzipien in Be-
zug auf Weltbürgertum und mit „Global Governance“ befasst. Globale Konzeptionen von
Recht und Gerechtigkeit gehen mit einer politischen Verpflichtung zur Demokratie als
Mittel, sich ĂĽber den Nationalstaat hinauszubewegen, einher.
• Kosmopolitanismus als liberaler Multikulturalismus mit der Betonung auf Pluralität, her-
meneutisches Verstehen des Anderen und auf das Miteinbeziehen der Unterschiedlich-
keit in einer postnationalen politischen Gesellschaft.
• Kosmopolitanismus als Transnationalität mit der Betonung auf „gemischte“ Identitäten
(Diaspora, Hybridität). Dies betont neue Formen globaler Kultur und transnationaler Pro-
zesse (die sich beispielsweise in globalem Konsumverhalten und Lebensstilen zeigen).
• Kosmopolitanismus als Methode, die sich mit der Realität der heutigen Gesellschaft beschäf-
tigt. Die Betonung liegt nicht auf der Beschreibung, sondern auf der Darstellung einer Methode,
die auf das Leben in einer sowohl lokalen als auch globalen Welt antwortet. Sie kann als eine
5 Hansen, David: The Teacher and the World: A Study of Cosmopolitanism as Education. Routledge, New
York 2011 und siehe auch: Introduction: Rethinking Globalization, Education and Citizenship. (Teachers
College Record, 113/10), 2011.
6 Die folgenden vier Charakterisierungen sind Zusammenfassungen von Konzeptionen des Kosmopolitani-
smus in Delanty, Gerard: The Cosmopolitan Imagination. Cambridge University Press, Cambridge 2009.
Reflexiver Kosmopolitanismus
Entwicklung einer Forschungsgemeinschaft durch den philosophischen Dialog
- Title
- Reflexiver Kosmopolitanismus
- Subtitle
- Entwicklung einer Forschungsgemeinschaft durch den philosophischen Dialog
- Editor
- Ediciones La Rectoral
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-SA 4.0
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 190
- Categories
- LehrbĂĽcher PEACE Projekt