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Fülle schriftlicherÄußerungen liegen sowie anderKomplexität seiner teilswi-
dersprüchlichen Texte. Ein zentrales Lebensthema blieb aber die Retrophilie.
Schaukals ästhetizistischeVergangenheitssehnsuchtder frühen Jahremündete
nach dem Ende der Donaumonarchie in politisch aufgeladene, nicht minder
rückwärtsgewandte Zeit- undGesellschaftskritiken. 1925 kam es etwa im Zuge
des tödlichenAttentats aufHugoBettauer (1872–1925) zu einer kurzenKorres-
pondenzmitRobertMusil, seinerzeit stellvertretenderVorsitzenderdesSchutz-
verbandes Deutscher Schriftsteller in Österreich. Schaukal drohte mit seinem
Austritt aus dem SDSOe, da der Verband nach dem Anschlag auf Bettauer
gegendieHetze in der rechtskonservativen Presse Stellung bezogenhatte. Die
Beschwerdebriefe und eine nicht veröffentlichte Polemik zum ‚Fall Bettauer‘
zeugen vonSchaukals tiefwurzelndemKonservatismus.3 „Jedes der rund acht-
zigWerkeSchaukals ist inderGrundtendenzkonservativ.DerDichter istweder
thematisch, noch sprachlich, weder formal, noch stilistisch ein Neuerer oder
Experimentierer, bestenfalls ein genialer ‚Anverwandler‘ und ‚Adapteur‘“, so
ClaudiaGirardi.4 Dabei habe er sich „der Einordnung in starre Kategorien Zeit
seinesLebensentzogen“,wolltekeinen literarischenRegeln,SchulenoderGrup-
pen zugehören und aus sich heraus dichterisch produktiv sein, wie Andreas
Wickemit Blick auf Schaukals Lyriktheorie festhält.5 Zu diesemZweck griff der
DichteraufeinenklassischenGeniebegriff zurück,andemerauch inseinenbio-
graphischenundliteraturkritischenArbeitenfesthielt.6
Schaukals restaurativeWerkeundkulturkritische Essays verdichteten sich
gemeinsammit seinemaristokratischenHabituszueinernostalgischenLebens-
weise,ohnedabeidieEntwicklungenderGegenwartoder ihre technischenMit-
tel für eine öffentlichkeitswirksame Selbstdarstellung – etwa in Form von
inszenierten Fotografien und Radiovorlesungen – außer Acht zu lassen. Dass
3 Schaukal sahvonderVeröffentlichungabund trat ausdemVerbandnicht aus,daBettauer
seinenVerletzungenerlag.SiehedieBriefeanMusil imSchaukal-NachlassderWienbibliothek
(imFolgenden zit. als S-NL,WB). Dominik Pietzckerwidmet demFall Bettauer einenExkurs;
vgl. Pietzcker: Richard von Schaukal. Ein österreichischer Dichter der Jahrhundertwende.
Würzburg 1997, S. 240–242. Vgl. dazu auch Murray G. Hall: Der Fall Bettauer. Wien 1978,
S. 70–76.
4 Claudia Girardi: Der Dichter Richard von Schaukal als „Konservator“ der guten alten Zeit.
In: Konservative Profile. Ideen&Praxis in der Politik zwischenFMRadetzky, Karl Kraus und
AloisMock.Hg.vonUlrichE.Zellenberg.Graz/Stuttgart 2003,S. 285–302,hierS. 292.
5 AndreasWicke: Richard Schaukal und die Lyriktheorie der Jahrhundertwende. In:Modern
AustrianLiterature,Bd.34,Nr.3–4(2001),S. 79–93,hierS.82.
6 Vgl.Wicke:RichardSchaukalunddieLyriktheorieder Jahrhundertwende,S.86–87.
2 Einleitung:WiderspruchsgeisteinesBeamtendichters
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik