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seiendannerzĂ€hlerischglaubhaft,wennsiemitâbestimmtenhabituellenKenn-
zeichenausgestattetwerden.â187DieerzĂ€hlerischeGlaubwĂŒrdigkeitkonstituiert
sichwiederum aus einemnachvollziehbaren Ineinandergreifen vonOpus und
Modus. Dies ist beiAndreas von Balthesser gegeben, der nicht nur sich selbst,
seinem Geschmack und seiner Polemik treu bleibt, sondern in seiner Figur
auch sozialewie literarische Themenvereint, die fĂŒr Schaukal relevantwaren.
DerAutorordnetseinenFiguren
bestimmtekörperlicheMerkmale, eine individuelleHerkunftundGeschichte,persönliche
Umgangs- und Ausdrucksformen, soziale und ökonomische Verhaltensweisen, Denkge-
wohnheiten, politische PrÀferenzen und geschmackliche Vorlieben zu, stimmt diese
Zuordnungen aufeinander ab und formt sie zu einem [. . .] Gesamtbild, das auf eine ihm
zumindest scheinbarzugrunde liegende,einheitsstiftende âgenerativeFormelââebenden
somiterstkonstruiertenHabitusâverweist.188
Der âhabituelle Stil in seinerGesamtheitâ189 kehrt also in der Romanfigurwie-
der.EinTeilderAusfĂŒhrungen inBourdieusRegelnderKunstbasiert aufdieser
Grundannahme. Auch Sartre sah eine unmittelbare Verbindung von Stil und
WeltanschauungdesAutors:
Die Struktur der SÀtze, derAbsÀtze, der Gebrauchunddie Stellungdes Substantivs, des
Verbsusw., derAufbauderAbschnitteunddieMerkmalederErzĂ€hlungâumnureinige
Besonderheiten zu zitierenâverratenverborgeneVoraussetzungen,diemandifferentiell
bestimmenkann,ohneaufdieBiographiezurĂŒckzugreifen.190
In Àhnlicher Weise konstituiert bereits der erste Satz in Balthesser grundle-
gendeHabitusmerkmale:
HerrAndreas vonBalthesser, der imgeheimensehrberĂŒhmteDichter des âPerseusâ, der
âAndrogyneâ, des âKorybantenâ, eingeladen, in der akademischenVereinigung der âIn-
tellektuellenâ einen Vortrag zu halten, dessen Gegenstand seiner geneigten Wahl war
ĂŒberlassen worden, erschien in dem verrĂ€ucherten Klubzimmer des Hotels Pinsch, mit
der ihmeigenennachlÀssigen Eleganz gekleidet, leicht vorgeneigt, umdie schmalen ra-
sierten Lippendas einwenigmoquante und gleichzeitig hilflose LĂ€cheln, das er an sich
so liebt.ErhattesichverspÀtet [. . .].191
187Wolf:KakanienalsGesellschaftskonstruktion,S.49.
188Wolf:KakanienalsGesellschaftskonstruktion,S.51.
189Wolf:KakanienalsGesellschaftskonstruktion,S.61.
190 Jean-Paul Sartre: Die progressiv regressive Methode [1957]. In: Theorie der Biographie,
S. 233â245,hierS. 239.
191 Schaukal:LebenundMeinungendesHerrnAndreasvonBalthesser. In:WE.Bd. 2:Umdie
Jahrhundertwende.MĂŒnchen/Wien1965,S. 229â312,hierS. 231.
50 Einleitung:WiderspruchsgeisteinesBeamtendichters
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik