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Abneigungbestimmter Institutionen, Personen oderGesellschaftsgruppen. Die
Jahre ab 1920markierten denHöhepunkt von Schaukals aggressiver Rhetorik.
AnAlfredKubinschreibt er imSommer 1933,dasser zumâanerkanntenFrĂŒher
der antisemitischen Literatur-Reinigung gediehenâ sei, ehe sich Nazi-
Deutschlandgegen ihn,denâstĂ€rkstenKulturtrĂ€gerâdesLandes,gestellthabe,
âweil er Ăsterreicher ist und ĂŒberhaupt unabhĂ€ngig bleibenwill.â34 Hier wird
Schaukals Wendung vom sich isoliert wĂ€hnenden KĂŒnstler zum politisch ge-
schassten,nichtminderantisemitischenKulturaktivistendeutlich.
SchaukalwÀhnte sich inden letztenzehnJahrenseinesLebensvonFeinden
umringt, ein Zustand, der sich zu einer absonderlichen Verbindung aus Hass,
VerschwörungsdenkenundRĂŒckwĂ€rtsgewandtheit steigerte, wie Kubin demsel-
benBrief entnehmenkonnte: â[A]ber ehnicht beiunswiederdieBurgmusikdie
kaiserlicheWachablösungbegleitet, istdiesevonGeschreierfĂŒllteRuinedesbet-
telnden âFreistaatsâauchnichtmeineHeimat (unddiealte,dievondenFreimau-
rer-DemokratenderTschechoslowakeidrangsaliertwird,schongarnicht!)â.35
IndieseBegriffsspiraleausRetrophilie,NostalgieundMelancholie ist auch
Anachronismus einzugliedern. Richard Schaukal verbreitete seine Kulturkritik
ĂŒbermedialeWege, die er in kulturkritischenAusbrĂŒchenvonBeginnankri-
tisierte, wie sein gegen die Zeitung gerichteter Beitrag âĂber die Forderung
von sogenanntenGedanken inderDichtungâ aus derWiener Rundschau vom
15. Februar 1899 belegt. Zudem inszenierte er sich und seine Familie fotogra-
fischals Sommerfrischler vonaristokratischemFormat.DieUrlaubsbilder zei-
gen ein lĂ€ndliches Garten- oder Gebirgssetting. Mit den AusfĂŒhrungen Peter
Trawnys lassen sich Schaukals Praktiken als âfaktischer Anachronismusâ be-
zeichnen. Damit ist der Umstand gemeint, dass â(1.) eine Anti-Position zur Ge-
genwart eingenommen wird bei (2.) gleichzeitiger Benutzung der Mittel der
Gegenwart in der Darstellung des Anti.â36 Merkmale von Anachronismus sind
âfalsche historische Zuordnungâ und âFehler in der historischen Einstufung.â37
Der Begriff ist also pejorativ konnotiert und ideologisch aufgeladen. Er verweist
auf veraltete Auffassungen und ĂŒberholte Ansichten, die â so eine zusĂ€tzliche
KomponenteâĂŒbermoderneInformationskanĂ€leverbreitetwerden.38
34 BriefSchaukalsanKubin, 18. Juli 1933,K-S,BSB.
35 BriefSchaukalsanKubin, 18. Juli 1933,K-S,BSB.
36 PeterTrawny:Technik.Kapital.Medium.DasUniversaleunddieFreiheit.Berlin2015,S.119.
37 [Art.] Anachronismus. In: DWDSâDigitalesWörterbuch der deutschen Sprache. https://
www.dwds.de/wb/Anachronismus(zuletztaufgerufenam31. Juli 2019).
38 Trawnynennt als Beispiel radikalislamischeBotschaften, die ĂŒber Internet verbreitetwer-
den;vgl.Trawny:Technik.Kapital.Medium,S. 119. 2 BiographieundRetrophilie 61
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik