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Schaukal scheint neben einer naheliegendenVerehrung der Habsburger auch
fĂŒr die politische Biographie und Geschichtsschreibung preuĂischer PrĂ€gung
empfĂ€nglich gewesen zu sein, auchwenn er in seinemBuch ĂŒber Karl Kraus
festhĂ€lt, dass âder Ăsterreicher mit Recht âpreuĂische Geschichtsschreibungâ
ĂŒber das [ablehnt], was nur aus österreichischer Art zu begreifen ist.â53
Schaukalwar imBesitz vonThomas CarlylesHistory of Friedrich II. of Prussia,
called Frederick the Great (1858), seine Sammlung enthĂ€lt darĂŒber hinaus ak-
tuellere Schriften wie Johannes Penzlers siebenbÀndige Bismarck-Biographie
(1897/1898), Eduard Vehses Illustrierte Geschichte des preuĂischen Hofes, des
Adels und der Diplomatie. Von Friedrich Wilhelm II. bis zum Tode Kaiser Wil-
helms I. (1902) und Georg Winters Friedrich der GroĂe (1907), um nur einige
exemplarische Titel zu nennen, die sein historisch gefÀrbtes Biographiever-
stÀndnisuntermauern.
Der Blick auf die Dichterbiographien in der Sammlung verdeutlicht eine
thematischePrÀferenz,dieSchaukaldannauch indie literarisch-biographische
Praxis umsetzte. âPortraitsâĂŒberHeinrichHeine (1797â1856), E.T.A.Hoffmann,
Jean Paul (1763â1825) und viele weitere, darunter auch französische Dichter
des spĂ€ten 18. und 19. Jahrhunderts, zeigen seine Ă€sthetische Vorliebe fĂŒr
Romantik und Biedermeier. Im Prinzip bestĂ€tigt diese BĂŒchersammlung hin-
sichtlichder IdeologieundPoetikeinBild,dassichauch inseinemWerkwider-
spiegelt und Schaukal als Dichter des literarischen Historismus, speziell der
Neuromantik positioniert. Die in diesem Kontext zu verortende ambivalente
Haltung gegenĂŒber demBĂŒrgertumsteht in einemkomplexenZusammenhang
mit der biographischen Konjunktur im 19. Jahrhundert und geht ĂŒber den
Topos der romantischen Kritik an bĂŒrgerlichen DaseinsverhĂ€ltnissen hinaus.
Die zentrale, vielzitierte und zumTeil auch erweiterte TheseHelmut Scheuers
lautet, dass die Entwicklung des biographischen Genres ein Bestandteil der
âAufstiegs- undKrisengeschichte desBĂŒrgertumsâ sei.54Umdiesmit Blick auf
Schaukalplausibelzumachen,sollvorabeinRekursaufdieEntfaltungderBio-
graphieabderzweitenHĂ€lftedes19. Jahrhundertsgenommenwerden.
Die fĂŒr das liberale BĂŒrgertum im Prinzip erfolglose Revolution von
1848/49 evozierte in Deutschland eine biographietheoretische Trendwende;
der âVerlust einer geschichtlichen Sinnimmanenzâ fĂŒhrte zur thematisch-
stilistischen Differenzierung der Gattung. Scheuer unterteilt die ab diesem
53 Schaukal:KarlKraus.VersucheinesgeistigenBildnisses.Wien/Leipzig1933,S.32.
54 Scheuer: Biographie, S. IX.Anne-KathrinReuleckeĂŒbertrĂ€gt Scheuers These auf dieKate-
goriederGeschlechterdifferenz imRahmenderSubjektkonstruktion; vgl. Reulecke:âDieNase
der Lady Hesterâ. Ăberlegungen zum VerhĂ€ltnis von Biographie und Geschlechterdifferenz.
In:BiographiealsGeschichte.Hg.vonHedwigRöckelein.TĂŒbingen1993,S. 117â142.
66 I PoseundSubjektivierung imLebenRichardSchaukals
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik