Page - 99 - in Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
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den Roman in programmatische Worte. Er könne Texte dieser Gattung nicht
einmal lesen, heißt es darin,weil sie ihnmit ihrer Absicht zu fesseln langwei-
len. Schaukal bezeichnet auto-/biographische Einflüsse, historische Begeben-
heiten und vor allem die ästhetische Form als entscheidende Kriterien für
literarischeWerke. Stoff undGestaltung solltenübereinstimmen, so seineAuf-
fassungalsKritikerundDichter inPersonalunion:
Zweierlei such’ ich in einem Buche: Tatsachen und Kunst der Darstellung. Tatsachen,
seien es geschichtliche oder sonst wissenschaftliche aus dem Bereich meiner Neigung
und Kenntnisse, befriedigen mich als Mitteilungen, sie fesseln und bereichern mich:
ebensoAngaben über Druckewie Berichte über Geschehnisse (Meinungen darüber nur,
wennsiescharfgefaßteErgebnissesachlicherForschung,zumalKritiksind).21
Doch in seinen Briefen ist immer wieder die Rede von einem früh verfassten
undbeimVerlagFriesenhahn inLeipzigverschollenenRoman-Manuskript.Die
1904bei Insel erschieneneNovelleMimiLynx sei einRest jenerverlorengegan-
genen,größerenProsaarbeit,wieSchaukalamRandeeinesBriefes,dener 1897
vonRilke erhaltenhatte, notierte.22 InderVorrede zuden Intérieursbeschreibt
erdieEntstehungsgeschichte seinesangedachtenRomans,der imJahr 1895be-
gonnenwordenseiund1899seine„Eingeweideeingebüßt“habe:
Man erklärte dieses unselige Ereignis [den Verlust des Manuskripts] mit dem Bankrott
einesDruckers. Da ich so unvorsichtig gewesen, dasOriginalmanuskript nicht zu kopie-
ren, der Drucker aber so liebenswürdig, die Skripturen zu verlieren, [. . .] hinterblieb ein
Torso.EssinddieerstenneunBogen, teilweiseschon1898ausgedruckt.23
DieVerlageundihrewirtschaftlichenInteressenwarenSchaukalauchwegendie-
ses Negativerlebnisses suspekt. Andererseits wollte er seineWerke, allen voran
seineLyrik, auf die er große Stückehielt, nicht für die Schreibtischlade verfasst
haben.DervondenVerlagenausgehendezeitlicheDruckwidersprachjedochsei-
nem peniblen Arbeitsethos.Opus operatum undmodus operandi verschmolzen
bereits beim Jungdichter zu einer festen Einheit, wie der Konfliktmit Hermann
Seemannzeigte. Imgedehntenund sorgfältigen, dabei durchaus egozentrischen
Arbeitsprozess lagSchaukalsgesamterHabitus,seineMentalitätundauchdieEr-
wartungshaltung, als Künstler ein gewisses Entgegenkommen von der industri-
ell-ökonomischen InstanzderBuchproduktion zu erhalten. In einemEssay über
Frank Wedekind (1903) formulierte Schaukal seine fundamentale Kritik am
21 Schaukal:Romane. In:Schaukal:ErkenntnisseundBetrachtungen,S.377.
22 Vgl.denBriefRilkesanSchaukal, 17.Mai 1897,S-NL,WB.
23 Schaukal: Vorrede. In: WE. Bd. 2: Um die Jahrhundertwende. München/Wien 1965,
S.33–35,hierS.33. 1 VerlagsstrukturenundVerlagsnetzwerke 99
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik