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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
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Die neuen „Russophilen“ und ihr Russlanddiskurs 63 Anm. A.B.] entstanden“.41 Diese Hoffnung auf eine geistige Umwälzung, auf „befreite Kritik“42 sowie auf den ‚neuen‘ Menschen wird aber ständig durch Beobachtungen Roths relativiert, die den russischen Massen- beziehungsweise Durchschnittsmenschen als Resultat einer totalen Verstaatlichung und gewal- tigen Bürokratisierung des Lebens ansehen. Die „geistige Leere“ des russischen beziehungsweise sowjetischen Menschen, der „niemals ganz Privatmensch“ sein dürfe, der zum „Kollektivismus“ erzogen werde und nicht zum geistigen „Kombinieren“, der „das primitive Anfangstadium einer öffentlichen Meinung“ erlebe, „die von oben gelehrt und genährt wird“,  – das alles wird von Roth „in der russischen Straße“, in den Zeitungen, in Gesprächen, in der Schule und bei der Jugend besorgt registriert. Doch diese „allgemeine Nivellierung“43 wird in seinen Reportagen letztendlich entschuldigt mit dem leitmotivischen Verweis auf die Zukunft Russlands und die der Revolution:  „Es wäre freilich anders kaum möglich. Vielleicht muß die große Masse zuerst durch die Oberfläche der Erkenntnis. Sie ist ja kaum einige Jahre befreit von der tiefsten Blindheit!“44 Die „Entschuldigungen“ und „hoffnungsvollen“ Einschübe sind aber nicht dadurch zu erklären, dass Roth sich angesichts der sowjetischen Zensur und ihrer Macht verunsichert fühlte, wie David Bronsen meint.45 Es geht Roth eher um seine deutschen Leser, um den Rezeptionshorizont der europäischen Intellektuellen, die er vor Entwicklungsprozessen in der Kultur zu warnen sucht, wie sie sich auch im Deutschland jener Zeit bemerkbar machen:  vor der Gefahr einer Paral- lelisierung von Demokratisierung und Nivellierung. Robert Müllers Bolschewik und Gentleman weist also keine Analyse eines real- geschichtlichen Phänomens auf, obwohl darin das bolschewistische Russland im Zentrum steht:  „Der Bolschewismus macht Ernst, das ist es. Das Detail ist unwichtig. Er ist zuerst ein allgemeiner Messianismus östlicher Völker, ein Chi- liasmus bisher untertaner Schichten, ein Titanismus geistiger Forderer“.46 Robert Müller ist hier auf der Suche nach „eine[r] ideale[n] aktivistische[n] Gesell- schaftsform“,47 deren großes Versprechen er im bolschewistischen Russland zu 41 Joseph Roth:  Gespenster in Moskau. In:  ders.:  Werke 2, S.  596–601, zit. S.  601. 42 Ders.:  Die Schule und die Jugend. In:  ebd., S.  671. 43 Ebd., S.  656. 44 Ebd., S.  601. 45 Vgl. David Bronsen:  Joseph Roth. Eine Biographie. Köln:  Kiepenheuer & Witsch 1993, S.  284f. 46 Robert Müller:  Bolschewik und Gentleman. In:  ders.:  Irmelin Rose  – Bolschewik und andere verstreute Texte. Paderborn:  Igel 1993, S.  139–208, zit. S.  205. 47 Daniela Magill:  Nachwort. In:  ebd., S.  209–215, zit. S.  211. Kritisch dazu:  Primus-Heinz Kucher:  Zwischen „West-östlichem Barock“ und Dämonisierung/Asiatisierung des Ostens.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Title
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Subtitle
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Author
Primus-Heinz Kucher
Editor
Rebecca Unterberger
Date
2019
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Size
14.8 x 21.0 cm
Pages
466
Category
Kunst und Kultur
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