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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
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Die „schöne neue Welt“ in Roths „Reise in Rußland“ 135 eines In-die-Zukunft-Reisens und die Auffassung des neuen Staatsaufbaus als eines Probestücks für die künftige Neugestaltung Europas. Ein solches Wahr- nehmungsmuster setzt eine konsequente Ausblendung von Themen und Fragen voraus, die den Rahmen des optimistischen Narrativs über die Erreichbarkeit des kommunistischen Paradieses hätten sprengen können und als Leerstellen den Grad ideologischer (Selbst-)Verblendung beziehungsweise der (Selbst-) Zensur der Reiseberichterstatter an den Tag legen.8 Roths Reportagenreihe steht im krassen Kontrast zur literarischen Produk- tion der linken ‚Pilger‘, obwohl sich Roth vor seiner sowjetischen Reise zu den Sympathisanten der sozialistischen Ideen gezählt und diese seine politische Ten- denz mit dem Pseudonym „der Rote Joseph“ unterstrichen hat. Und doch ist sein journalistisches Sowjetrussland-Projekt nicht nur durch die Ausstrahlung des roten Sterns im Osten, sondern, wie Klaus Westermann hinweist, durch die eher pragmatische Absicht angeregt worden, mithilfe dieses brisanten Themas seine eigene journalistische Karriere im Westen abzusichern. Bemerkenswerterweise hat der Schriftsteller am Vorabend dieser Reise behauptet, dass es im nachre- volutionären Russland noch vieles außer dem „roten Terror“ gebe und dass ihn zunächst das dortige „menschliche unpolitische Material“ interessiere.9 Demgemäß hat Roth, so Wolfgang Müller-Funk, „das zentrale Feld des Politischen, wenigstens im engeren Sinn des Wortes“,10 in seinen sowjetischen Reisereportagen systematisch ausgeklammert, und diese damit als Berichte jen- seits der ideologischen Links-Rechts-Front profiliert. Dabei ist freilich nicht zu übersehen, dass Roth sich in den lokalen russischen Verhältnissen vergleichs- weise gut auskannte  – im Gegensatz zu vielen reisenden Russland-Bewunderern, deren Blickfeld wegen des Mangels an sprachlichem, kulturellem oder mentalem Hintergrundwissen stark eingeschränkt war. Als gebürtiger Galizier, der an der Grenze zum Russischen Zarenreich aufgewachsen war, als Künstler, der den Ein- fluss der klassischen russischen Literatur in sich aufgenommen hatte, schließlich als Mensch, in dem Stefan Zweig die russische oder sogar die Karamasow’sche Moskwe:  Dekonstrukzija puteschestwija]. Moskau:  RIK „Kultura“ 1993, S.  13–82, zit. S.  16. 8 Vgl. Anke Gleber:  Die Erfahrung der Moderne in der Stadt. Reiseliteratur der Wei- marer Republik. In:  Peter R. Brenner (Hg.):  Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Frankfurt a.M.:  Suhrkamp 1989, S.  463–484. 9 Klaus Westermann:  Nachwort. In:  Joseph Roth:  Das journalistische Werk 1924–1928. Köln:  Kiepenheuer & Witsch 1990 (= Werke, hg. von Klaus Westermann, Bd.  2), S.  1023–1028, zit. S.  1026. 10 Müller-Funk, Besichtigung, S.  49.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Title
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Subtitle
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Author
Primus-Heinz Kucher
Editor
Rebecca Unterberger
Date
2019
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Size
14.8 x 21.0 cm
Pages
466
Category
Kunst und Kultur
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹