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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ - Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
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Die „schöne neue Welt“ in Roths „Reise in Rußland“ 143 und Misthaufen und selbst auf kahlen Tischtüchern, auf denen ein menschliches Auge nichts Nahrhaftes sehen kann […][.] Auf den weißen Hemdblusen, die hier die meisten Männer tragen, sitzen Tausende Fliegen, sicher und versonnen, sie fliegen nicht auf, wenn sich ihr Wirt bewegt, sie sitzen zwei Stunden auf seinen Schultern, sie haben keine Nerven, die Fliegen von Astrachan, sie haben die Ruhe großer Säugetiere, etwa der Kat- zen, und ihrer Feinde aus der Insektenwelt, der Spinnen… Es wundert mich und ich bedauere es, daß diese intelligenten und humanen Tiere nicht in großen Scharen nach Astrachan kommen, wo sie nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft werden könnten. Zwar leben acht Kreuzspinnen in meinem Zimmer, stille, kluge Tiere, freund- liche Genossen durchwachter Nächte […][,] aber wie gering ist der Lohn! Tausend Flie- gen summen im Zimmer, ich wünsche mir zwanzigtausend giftige Spinnen her, eine Armee von Spinnen! Bleibe ich in Astrachan, ich würde sie züchten und ihnen mehr Sorgfalt zuwenden als dem Kaviar[.] [RW  611] Die Aufzählung der „Wunder“ von Astrachan gipfelt in einer lakonischen Lobrede auf die Bettler, an denen diese Stadt besonders reich sein soll. Der ironischen Bemerkung des Autors zufolge sind diese Gespenster des unterge- gangenen zaristischen Russland, in deren Namen die Revolution durchgesetzt wurde, das erstaunlichste Wunder von Astrachan, da sie ein Leben lang von nur einer Kopeke leben können [RW  612]. Als die einzige Region, in der nach der Oktoberrevolution eine sichtbare Erneuerung stattgefunden hat, zeigt sich bei Roth der Kaukasus. Unter den wichtigsten positiven Ergebnissen der Revolution in diesem Teil des Sowjetim- periums werden  – allerdings nicht ohne Vorbehalte  – die Lösung der nationalen Autonomiefrage kaukasischer Völker und die rasche Modernisierung der Pet- roleumgebiete genannt. Gleichzeitig weist Roth auf die Schattenseite des beein- druckenden industriellen Fortschritts hin.  In den futuristischen Landschaften mit Bohrtürmen und Arbeitersiedlungen erblickt er eine ferne Ähnlichkeit zum Bild des vom Goldrausch besessenen Amerika mit seinem Drang nach tech- nischer Innovation, seinem nachgerade epidemischen Städtebau, seiner Sucht nach Abenteuern und Sensationen. Dies interpretiert Roth als Symptom einer paradoxen Annäherung des sowjetischen an das amerikanische Zivilisations- modell, das die bolschewistische Propaganda, bei allem Interesse an wissen- schaftlichen und technischen Errungenschaften in den USA, dem Projekt des sozialistischen Staates entschieden entgegensetzt hat.22 Roth nimmt in den heftig geführten Amerika(nismus)-Debatten eine ausgesprochen kritische Position ein. Im Unterschied zu jenen Intellektuellen, die die technische Modernisierung in 22 Vgl. Simon Huber:  Orientierungsfahrten. Sowjetunion- und USA-Berichte der Wei- marer Republik als Reflexionsmedium im Modernediskurs. Bielefeld:  Aisthesis 2014.
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Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹ Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Title
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Subtitle
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
Author
Primus-Heinz Kucher
Editor
Rebecca Unterberger
Date
2019
Language
German
License
CC BY 4.0
ISBN
978-3-631-78199-9
Size
14.8 x 21.0 cm
Pages
466
Category
Kunst und Kultur
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