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Jürgen
Doll232
besorgte Stephan Hock, ein Mitarbeiter von Max Reinhardt,50 die musikalische
Ausführung oblag den Komponisten Erwin Leuchter und Franz Leo Human,
die Requisiten und Kostüme wurden von Harnisch und Meiselmann entworfen.
Der im Wesentlichen auf Aufrufe, Schreie, Parolen, dokumentarisches Material
wie Bibelzitate sowie Börsen- und Kriegsberichte reduzierte Text des kompakten
einstündigen Schauspiels ist nicht erhalten, Auszüge finden sich im Führer zum
Festspiel.51 Er spielte ohnedies eine untergeordnete Rolle: Auch hier dominierte
das Optische und Akustische. Wie Ehrenzweig erklärte, zielte er auf „leichte
Verständlichkeit, volle Klarheit und Eindeutigkeit aller Vorgänge“.52 Die Dra-
maturgie baute, wie in den in Ehrenzweigs Massentheater-Aufsatz evozierten
Proletkult-Vorbildern und in den Linzer Spielen, vor allem auf Kontrastwirkun-
gen auf.
In der Mitte des Stadions steht der Turm des Kapitals. Fanfarenbläser leiten
die Vorstellung ein. Die Handlung beginnt mit einer idyllischen Darstellung
des Mittelalters mit freudig werkenden Handwerkern und Bauern in bunten
Kostümen. Diese etwas überraschende Darstellung der Feudalzeit als Golde-
nem Zeitalter der nicht entfremdeten Arbeit dient als Kontrast zum folgenden
monotonen, uniformen, brutalen Maschinenzeitalter. Bibelzitate, die zu Gott-
ergebenheit und Demut aufrufen, kontrastieren mit aktuellen Börsenberichten.
Die Marseillaise kündigt eine noch unorganisierte Revolte an, die niederge-
schlagen wird. Ihre Führer werden hingerichtet, alle Arbeiter stürzen zu Boden.
Fanfaren leiten die Kriegsszenen ein, der Priester segnet den Krieg, Kriegsbe-
richte und Militärmärsche stehen im Kontrast zum Massenmorden. Den Sol-
daten folgen schwarz gekleidete trauernde Frauen, von Trauermusik begleitet.
Dann rennen tausende Arbeiter auf das Feld, stürmen den Turm und stürzen
die goldene Fratze des Kapitals. Die Spieler formieren sich am Ende zu einem
gemeinsamen Schwur, tausende rote Fahnen und Fackeln füllen das Feld, die
Internationale erklingt, das Spiel geht in einen Fackelzug zum Wiener Rathaus
dazu auch zeitgenössische bilanzierende Berichte in der Arbeiter-Zeitung, z.B.:
Unser
die Jugend, unser die Welt! Die grandiose Huldigung vor der Internationale. In:
Arbei-
ter-Zeitung (27.7.1931), S. 1–3.
50 Vgl. Stephan Hock: Das große Festspiel im Stadion. In: Arbeiter-Zeitung
(18.7.1931), S. 5.
51 Vgl. 2.
Arbeiter-Olympiade Wien Juli 1931. Festführer. Sozialistische Arbeiter-Sport-
internationale Wien: ASKÖ für Sasi 1931.
52 Robert Ehrenzweig: Das Theater der Masse. In: Die Politische Bühne, Mitte Juni
1932, o.S.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Title
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Subtitle
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Author
- Primus-Heinz Kucher
- Editor
- Rebecca Unterberger
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Size
- 14.8 x 21.0 cm
- Pages
- 466
- Category
- Kunst und Kultur